EU-Afrika-Gipfel: Der Gigant vor Europas Haustüre

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bei einem Europa-Besuch 2018
Es war sein großer Traum: Die „Vereinigten Staaten von Afrika“ – mit ihm an der Spitze, versteht sich. Doch daraus wurde auf allen Ebenen nichts: Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi wurde während der Wirrnisse des Arabischen Frühlings im Oktober 2011 getötet, und der Mega-Kontinent ist alles andere als geeint, im Gegenteil. Und was er auf jeden Fall ebenso nicht ist: ein „Land voller Chancen“, wie Österreichs Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck jüngste meinte. „Land“ nein, „Chancen“ ja. Daher auch der zweitägige EU-Afrika-Gipfel ab heute, Donnerstag, in Brüssel.
30 Millionen Quadratkilometer Landmasse (alle EU-Staaten zusammen würden siebenmal hineinpassen), 55 Staaten und 1,2 bis 1,3 Milliarden Menschen (gegen rund 450 Millionen in der EU). Diese Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Afrika ist ein Gigant, aber divers in jeder Hinsicht. Denn ein Berber im muslimisch-arabisch geprägten Marokko hat mit einem Zulu in Südafrika (animistisch-christlich) gar nichts gemein.
Dennoch wollten sich auch die afrikanischen Staaten in einer Union ähnlich der Europäischen organisieren. „Gelungen ist das aber nur sehr oberflächlich, die Schlagkraft der Afrikanischen Union‘ (AU) ist mehr als begrenzt“, analysiert im KURIER-Gespräch der Wiener Universitätsprofessor und Afrika-Kenner Walter Sauer. Dafür seien mehrere Punkte verantwortlich.

Politische Gründe
„In einigen Fragen gibt es diametral unterschiedliche Ansätze. Etwa, ob die Westsahara jetzt ein eigener Staat oder doch Teil Marokkos sei“, betont Sauer . Dazu käme, dass manche Staatsführer primär ihre eigenen Interessen verfolgten. Andere wiederum würden Beschlüsse auf AU-Treffen in der Heimat derart rudimentär bis gar nicht kommunizieren, sodass keine Entwicklung passieren könne. Auch dass die Zivilgesellschaften in den allermeisten afrikanischen Staaten nicht in die politischen Prozesse eingebunden seien, sieht der Experte als Hemmschuh.
Wirtschaftliche Gründe
Aufgrund einer neoliberalen Ausrichtung der Volksökonomien versuche jedes Land, für sich das Beste herauszuholen, statt gemeinsam aufzutreten, „das schwächt das politische Gesamtprojekt“, führt der Wissenschafter aus.
Konflikte
Immer mehr Mitglieder der AU scheinen zu „gescheiterten Staaten“ zu verkommen. Von Somalia westwärts zieht sich mittlerweile ein Gürtel aus mehr oder weniger unregierbaren Ländern in der Sahelzone. Das schwächt die AU und ist bedrohlich für die EU. In anderen Regionen haben Zentralregierungen die Kontrolle über bestimmte Gebiete komplett verloren, im Osten des Kongos etwa, wo Warlords um die reichen Bodenschätze kämpfen.
Trotz dieser Defizite plädiert Walter Sauer für einen Dialog zwischen Europäern und Afrikanern „auf Augenhöhe“. Diesen sieht er derzeit aber nicht gewährleistet: „Da geht es einerseits um Rohstoffe und andererseits um die Rückführung von Migranten.“
Aktuell entfallen 36 Prozent des afrikanischen Außenhandels auf EU-Länder, 17 Prozent auf China – mit steigender Tendenz. „Allerdings sind die Chinesen nicht sehr populär, einige Staaten können die von Peking gewährten Kredite nicht mehr zurückzahlen und müssen jetzt etwa Häfen an sie verpfänden“, so der Uni-Professor. Das erzeuge böses Blut. Umgekehrt böten sich gerade hier „Chancen“ für Europa, wenn man auf „Augenhöhe“ verhandle.
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