„Verdammtes Land, inkompetente Politiker, sie nehmen sich selbst ernst und können keinen Witz verkraften, sie entspannten ihre Ärsche in schweren Stühlen“, hatte Slawi Trifonow in seinem früheren Leben als Musiker getönt. Jetzt ist seine Partei „Es gibt ein solches Land“ zweitstärkste Kraft in Bulgarien.
Mehr als 17 Prozent der Wähler gaben ihm bei der Wahl Anfang April ihre Stimme – ein Erfolg, mit dem niemand gerechnet hatte. Eine Regierungsbildung kam nicht zustande, Wahlsieger Boiko Borissow kann sich in seinem Stuhl nicht ausruhen – im Juli wird noch einmal gewählt.
Das Machtproblem
Wieder einmal hat mit Trifonow ein Quereinsteiger aus dem Kulturbereich für ein politisches Erdbeben in seinem Land gesorgt – wie etwa Beppe Grillo in Italien oder Wolodimir Selenski in der Ukraine. Doch was treibt die Wähler an, ihr Vertrauen einem Komiker, Sänger oder TV-Moderator zu schenken?
„Es ist einerseits natürlich die Bekanntheit, andererseits oft die Kritik am etablierten System, die die Kandidaten damit kanalisieren können. Auch Arnold Schwarzenegger konnte zum Beispiel in Kalifornien eine Krise des etablierten Systems ausnützen“, sagt Politologe Thomas Hofer im KURIER-Gespräch.
Diese Faktoren haben bereits einige ehemalige Künstler an die Macht gehievt. Aber was dann? „Macht interessiert mich nicht, das unterscheidet mich von Selenski und Grillo“, sagte Trifonow im Wahlkampf. Das hat er bei den Regierungsverhandlungen unter Beweis gestellt. Es wird sich weisen, ob ihm das bei der Neuwahl Erfolg bringt.
Bulgarien: „Macht interessiert mich nicht, das unterscheidet mich von Wolodimir Selenski und Beppe Grillo“, meint Slawi Trifonow
Der Gründer der „Fünf-Sterne-Bewegung“, Beppe Grillo, bewegt sich jedenfalls mit seiner Unterstützung des italienischen Premiers Mario Draghi in Richtung Establishment. Eine Entscheidung, die sich auf die Umfragewerte positiv niederschlägt. 17 Prozent würden den „Fünf-Sternen“ derzeit ihre Stimme geben. Auch wenn dieser Wert meilenweit vom Wahlergebnis im Jahr 2018 (33 Prozent) entfernt ist – es geht bergauf.
Korruption und Misswirtschaft
Abgestürzt hingegen ist Wolodimir Selenski in den vergangenen Monaten. Der ukrainische Präsident hatte es nicht geschafft, seine Versprechen wahr zu machen, nach wie vor herrschen im Land Korruption und Misswirtschaft. Mit den Spannungen an der russischen Grenze hat der ehemalige Kabarettist eine Bewährungsprobe zu bestehen.
Auf der ganzen Welt wechselten und wechseln Künstler auf die politische Bühne. Von Island (Jón Gnarr, Bürgermeister von Reykjavík von 2010 bis 2014) bis Slowenien (Marjan Šarec, Premier von 2018 bis 2020), von den Philippinen (Joseph Estrada, Präsident von 1998 bis 2001) bis Brasilien (Gilberto Gil, Kulturminister von 2003 bis 2008).
Die etablierte Politik hat auf dieses Phänomen zwei Antworten gefunden: Entweder werden prominente Persönlichkeiten als Quereinsteiger präsentiert, wie etwa das ehemalige indische Model Smriti Irani, die seit 2016 Textilministerin ist. Oder aber, die Partei inszeniert sich selbst als Bewegung: „Emmanuel Macron ist das in Frankreich mit einer neuen Plattform gelungen, auch Sebastian Kurz hat sich symbolisch damit erfolgreich versucht. Auch wenn der ‚neue Stil‘ angesichts der aktuellen Debatten an einen eingefrorenen Posthornton erinnert“, sagt Hofer.
Und Österreich?
Ob ein Quereinsteiger aus der Kultur auch in Österreich denkbar wäre? Hofer: „Wenn man es richtig angeht, eine bekannte und respektierte Persönlichkeit hat, ist so etwas in Österreich auch möglich.“
Frank Stronach – zwar kein Künstler, aber doch Quereinsteiger – habe dieses Potenzial aufgezeigt. „Hätte er sich nicht durch seine bizarren Auftritte selbst geschadet, wäre sich mehr ausgegangen.“
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