Als großer Friedensstifter im Krieg zwischen Russland und der Ukraine trat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan noch vor wenigen Wochen auf, jetzt gefällt er sich wieder in der alten Rolle des außenpolitischen Scharfmachers. Der NATO-Beitrittswunsch Finnlands und Schwedens gab ihm da unverhofft einen Trumpf in die Hand, den er brutal ausspielt.
Denn damit die beiden bisher bündnisfreien Länder in die westliche Verteidigungsallianz aufgenommen werden können, müssen alle 30 Mitgliedsstaaten zustimmen. Ankara verweigert das vorerst – mit der Begründung, dass vor allem Schweden die kurdischen „Terrororganisationen“ PKK und deren syrischen Ableger unterstütze. Mittlerweile wird sogar die Auslieferung von 30 „Terroristen“ gefordert, unter ihnen soll sich auch der linksliberale Verleger und Erdoğan-Kritiker Ragip Zarakolu befinden.
Offensive in Nordsyrien
In gewisser Weise verfolgt die Türkei im Windschatten dieser Kraftmeierei andere Ziele (letztendlich glaubt niemand, dass Ankara den NATO-Beitritt der beiden nordischen Länder blockieren wird): Erdoğan möchte einerseits neue Lieferungen von US-Waffensystemen erzwingen. Und andererseits alte Ziele in Nordsyrien erreichen.
So hat er jüngst eine Offensive in der vornehmlich von Kurden dominierten Region angekündigt. Bereits 2019 hatte die Türkei entlang ihrer Grenze zu Syrien einen 400 Kilometer langen und 30 Kilometer breiten Puffer errichten wollen.
Dort könnte dann ein Teil der 3,7 Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich derzeit in der Türkei aufhalten, angesiedelt werden, so der Plan.
Vor zwei Jahren machte diesen Kremlchef Wladimir Putin zunichte, der mächtige Verbündete des syrischen Präsidenten Bashir al-Assad. Heute hat der russische Staatschef andere Sorgen und angeblich sogar russische Kämpfer in Syrien in die Ukraine beordert.
Und auch die Amerikaner, die selbst Soldaten in der Region haben, könnten Erdoğan nun walten lassen – wenn er denn im Gegenzug die NATO-Türe für Finnland und Schweden öffnete. Bis zum Gipfel Ende Juni soll der Beitritt jedenfalls besiegelt sein.
Auch gegenüber dem alten Rivalen Griechenland fährt Erdoğan neuerdings wieder einen harten Kurs. Nach Monaten der Entspannung kommt es nun fast täglich zu Verletzungen des griechischen Luftraumes durch türkische Kampfjets. Ankara begründet das mit einer illegalen Militarisierung griechischer Inseln, darunter Samos oder Rhodos.
Innenpolitische Motive
Natürlich hofft Erdoğan, dass er mit dem nationalistischen Rundumschlag im Ausland auch innenpolitisch punkten kann – eine Strategie, die früher schon funktionierte. Denn eine Inflation, die aktuell zehnmal so hoch ist wie in Österreich und offiziell bei 70 Prozent liegt, lassen seine Zustimmungsraten sinken – und 2023 muss sich Erdoğan der Wiederwahl stellen.
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