Erdogan schlägt zurück

Präsident Erdogan geht gestärkt aus dem Putschversuch hervor.
Nach dem gescheiterten Putsch mit 265 Toten ließ der Präsident 3000 Armeeangehörige festnehmen und 2745 Richter absetzen. Kritiker befürchten weitere Repressalien gegen die Opposition.

Als der Samstagmorgen graute, hatten viele Einwohner der türkischen Metropolen Istanbul und Ankara kein Auge zugetan, und der Spuk war noch immer nicht vorbei. "Ich habe um 6.30 Uhr gerade dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben, als mein Haus zu beben begann – ein Kampfjet war in geringer Höhe darübergeflogen", sagte der Politologe Hüseyin Bagci, der in der Hauptstadt lehrt, im KURIER-Gespräch.

Erdogan schlägt zurück
Hüseyin Bagci
Zwölf Mal seien Maschinen der Putschisten über sein Heim gedonnert, das nur 3,5 km vom Präsidentenpalast von Recep Tayyip Erdogan entfernt liegt. "Meine Frau, mein 24-jähriger Sohn und ich haben uns immer sofort auf den Boden geworfen – das habe ich beim Militär gelernt." Eine Bombe habe nur 600 Meter neben seinem Haus eingeschlagen.

"Amateurhafter Coup"

Ankara war neben Istanbul der Hotspot des versuchten Umsturzes, bei dem laut Regierungsangaben 104 Putschisten sowie 161 weitere Menschen getötet wurden. Am Samstagvormittag erklärte Premier Binali Yildirim den "amateurhaft durchgeführten Coup – so etwas startet man nicht um 22.30 Uhr abends, sondern um vier oder fünf Uhr früh", so der Politologe Bagci – für beendet.

Acht türkische Soldaten hatten sich per Hubschrauber nach Griechenland abgesetzt und Asyl beantragt. Außenminister Mevlüt Cavusoglu teilte mit, sein griechische Amtskollege habe ihm bereits die Auslieferung der „Verräter“ zugesagt.

Und Erdogan selbst begann sogleich, umfassend zurückzuschlagen. „Dieser Aufstand ist für uns ein Segen, denn er liefert uns den Grund, unsere Armee zu säubern“, sagte der Staatschef. Noch am Samstag wurden 3000 Militärangehörige verhaftet – darunter den Oberbefehlshaber der Zweiten Armee, General Adem Huduti.

Vor seinen Anhängern, die forderten, die Putschisten mit dem Tod zu bestrafen, deutete Erdogan an, man könnte im Parlament über die Einführung der Todesstrafe sprechen.

Erdogan machte Sympathisanten der Gülen-Bewegung für den Putsch verantwortlich. "Am 3. August hätten neue Generäle und andere Offiziere ernannt werden sollen, möglicherweise wollten diese Gruppen diesem Schritt zuvorkommen", meinte Bagci.

Doch die Rache des Präsidenten zogen sich nicht nur Teile der Streitkräfte zu, in einem Aufwaschen wurden auch gleich 2745 Richter abgesetzt und viele Staatsanwälte vom Dienst entbunden. Als höchste Justizvertreter wurden die Verfassungsrichter Alparslan Altan und Erdal Tezcan verhaftet.

Furcht vor Repression

"Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Repressionen oder die Säuberungsmaßnahmen, die vorgenommen werden, auch Auswirkungen auf andere Kreise der Gesellschaft haben,", sagte der Leiter der Istanbuler Heinrich-Böll-Stiftung, Kristian Brakel, und meinte damit Oppositionelle und Kritiker. Zumal Erdogan und seine ihm ergebene AKP-Regierung "gestärkt aus der Krise hervorgehen werden", wie Hüseyin Bagci analysiert.

Dabei hatte es in der Nacht noch schlecht ausgesehen für das Staatsoberhaupt. Freitagabend fuhren in Istanbul Panzer auf, besetzten Brücken und sperrten so die Verbindung zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil der Bosporus-Metropole sowie den Atatürk-Flughafen. Auch hier dröhnten Kampfjets durch den Nachthimmel. In Ankara kam es zu Explosionen und Schüssen. Tausende Touristen erlebten plötzlich kriegsähnliche Szenen.

Erdogan schlägt zurück
Als die Putschisten vorübergehend die Zentrale der staatlichen Fernsehanstalt TRT übernahmen und man nichts von Erdogan vernahm, machten bereits erste Gerüchte die Runde, er habe die Türkei verlassen.

Vor den Bankomaten bildeten sich Schlangen, alle wollten noch rasch so viel Bargeld wie möglich ziehen. Auch in den Supermärkten kam es vielfach zu Gedränge, mit Hamsterkäufer wollten sich die Menschen für die Zeit nach dem möglicherweise erfolgreichen Umsturz wappnen.

Dann ein bizarrer Auftritt: Weil dem Staatschef letztlich nur noch ein iPhone blieb, griff er zu diesem und meldete sich via Video-Telefonie beim TV-Sender CNN Türk. Die Moderatorin hielt das Handy in die Kamera. Dort appellierte ein sichtlich gezeichneter Präsident an das Volk, sich gegen die Putschisten zu stellen. Auch via Twitter verbreitete er diese Nachricht. Welch’ Ironie: Genau dieses Online-Medium hatte er 2014 blockieren lassen, weil seine Gegner dort schwere Korruptionsvorwürfe gegen ihn verbreitet hatten.

Opposition für Erdogan

Doch die Alles-oder-Nichts-Taktik des Polit-Fuchses ging auf. Schon wenig später sah man seine Unterstützer mit Erdogan-Plakaten am symbolträchtigen Taksim-Platz in Istanbul. Zuvor hatten sich in ungekannter Einigkeit auch alle drei Oppositionsparteien gegen die Putschisten ausgesprochen.

Immer mehr Menschen stellten sich den Panzern der Umstürzler entgegen, die schließlich aufgeben und bald auch den Flughafen wieder freigeben mussten – dort landete das Staatsoberhaupt aus seinem Urlaubsdomizil Marmaris an der Ägäis-Küste kommend um 3.30 Uhr, und allen war klar: Er konnte das Ruder wieder herumreißen.

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