Nervös sei Oxana aber nur noch, wenn sie Granaten oder Sprengkörper finde, die sie noch nicht kennt. „Aber dann gebe ich Meldung, einer der Vorgesetzten sieht sich das genau an und entscheidet, was zu tun ist.“
Seit Februar darf ihr Arbeitgeber, HALO Trust, selbstständig Minen vernichten – davor waren die ukrainischen Behörden dafür zuständig. Ein Krater, einige Meter von Oxana entfernt, zeugt von der letzten kontrollierten Sprengung: „Wir haben dort sechs Anti-Fahrzeugminen gesammelt und kontrolliert gesprengt“, sagt Ilija, ein drahtiger junger Mann, der die Entminungsarbeiten in diesem Dorf überwacht.
Den genauen Ort will er nicht genannt haben, da es in der Vergangenheit zu russischen Angriffen auf Entminungsteams gekommen sei. „Ob das Absicht war oder nicht, lässt sich nicht genau sagen. Aber Sicherheit steht über allem“, sagt Ilija.
Fest stehe, dass die Minen und Stolperdrähte von russischen Soldaten gelegt worden seien. Bei der ukrainischen Gegenoffensive im Herbst 2022 wurden die Russen aus diesem Dorf vertrieben – ihre Hinterlassenschaften werden den Ukrainern jedoch noch lange schaden.
Wie viele Quadratkilometer tatsächlich kontaminiert sind, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dennoch ist die Ukraine das am meisten verminte Land seit dem Zweiten Weltkrieg. Bis Ende Februar dieses Jahres starben 287 Zivilisten, darunter 15 Kinder, durch Minenexplosionen oder Granaten, die beim Aufprall nicht explodierten. 641 weitere, darunter 77 Kinder, wurden verletzt.
Derzeit sind 1.130 Menschen beim ukrainischen Ableger der HALO-Trust-Mission beschäftigt – man hofft, dass es mehr werden. „Es gibt Berechnungen, wonach wir mit diesem Personalstand 700 Jahre brauchen würden, um die Ukraine zu entminen. Andere sagen, einhundert Jahre. So oder so – es wird eine lange Zeit dauern“, sagt Ilija. Mit weiterer Unterstützung von Organisationen oder Staaten könne dieser Prozess beschleunigt werden: "Mit mehr Unterstützung könnten wir mehr Menschen anstellen, expandieren."
Allein in der Region Charkiw sind Hunderttausende Hektar Land potenziell vermint – um die Suche etwas eingrenzen zu können, klären eigene Teams die möglichen Minenfelder mit Drohnen oder durch Gespräche mit Bauern auf. Ist ein Minenfeld identifiziert, beseitigen ferngesteuerte Mähmaschinen Gestrüpp und zu hohes Gras.
Doch um sicherzugehen, seien derzeit noch Menschen notwendig. Doch warum werden keine großen Entminungspanzer eingesetzt? "Wir entminen bereits mit ferngesteuerten Fahrzeugen, warten aber noch auf die Erlaubnis der ukrainischen Regierung, mit Fahrzeugen entminen zu dürfen, in denen Personen sitzen. ", heißt es von HALO. Grundsätzlich habe man auf diesem Gebiet viel Erfahrung und investiere viel in die Entwicklung effizienterer Schritte: „Künstliche Intelligenz hilft uns bereits beim Auswerten der Drohnendaten“, sagt Valerija, die für HALO für die Region Charkiw zuständig ist.
Die Organisation entmint in zahlreichen Gebieten der Welt, darunter in Afghanistan, und ist seit 2016 in der Ukraine tätig. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 weitete HALO rasch seine Operationsgebiete aus. Und auch, wenn die russischen Streitkräfte im Frühsommer eine Offensive auf Charkiw starten sollten und somit neue Minen im Dorf verlegt werden sollten: „Unser Job ist es, zu entminen. Im schlimmsten Fall fangen wir eben wieder von vorne an“, sagt Valerija.
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