Debatte der EU-Spitzenkandidaten: Mehr Europa, nur einer will nicht

Debatte der EU-Spitzenkandidaten: Mehr Europa, nur einer will nicht
Wer wird nächster EU-Kommissionschef? Frans Timmermans "siegt" in der ersten Elefantenrunde vor der EU-Wahl.

Mit einem entspannten: „Ich mag Jurassic Park. Ich habe also gar nichts dagegen, wenn Sie mich als Dinosaurier bezeichnen“, hatte Jan Zahradil am Montagabend die Lacher auf seiner Seite. Fünf europäische Spitzenkandidaten, die das Amt des EU-Kommissionspräsidenten anstreben, debattierten Montagabend erstmals live gestreamt aus der niederländischen Stadt Maastricht vor großem europäischem Publikum.

Und fast immer war es der gebürtige Prager Zahradil, der aus der oft gemeinsamen Linie seiner Kontrahenten ausscherte. An den Klimawandel glaubt der Spitzenkandidat der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) nicht, ebenso wenig an mehr europäische Kompetenzen. Und überhaupt solle „Europa seine Aktivitäten zurückfahren und besser mehr den Nationalstaaten überlassen“.

Da hatte Frans Timmermans leichtes Spiel, sein überwiegend junges und europafreundliches Publikum im Sturm zu erobern. Der eloquente Vizepräsident der EU-Kommission, der die Nachfolge seines Chefs Jean-Claude Juncker antreten möchte, vertritt dezidiert sozialdemokratische Positionen. Einen Mindestlohn in allen EU-Staaten würde er durchsetzen, wenn er Kommissionspräsident wäre, sagte der Niederländer. Ebenso fairere Steuersysteme, mehr Gewicht für die Gewerkschaften und einen von allen EU-Mitgliedsländern finanzierten Solidaritätsfonds für in Not geratene EU-Staaten.

 

Debatte der EU-Spitzenkandidaten: Mehr Europa, nur einer will nicht

EU-Vizepräsident Frans Timmermans

Timmermans gewann Publikumsvoting

Sein Motto: „Wir als Europäer müssen zusammenhalten und zusammenbleiben.“ Sein Publikum, das online abstimmen konnte, dankte dem beredten Vize-Kommissionschef mit der höchsten Zustimmung. 44 Prozent der Zuseher waren der Meinung, dass er die Debatte gestern klar gewonnen hatte.

Durchaus kantig, aber gut gelaunt gerieten dagegen mehrmals der junge Niederländer Bas Eickhout (Europäische Grüne) und der liberale belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt aneinander. Einig aber waren sie sich, ebenso wie Timmermans und die  Kandidatin der Europäischen Linken, Violeta Tomic: Eine verschärfte Klimapolitik muss Europa „jetzt sofort“ umsetzen und große Investitionen  in grüne Jobs umlenken. Und einhellig forderten auch alle: Die großen amerikanischen Internet-Konzerne, sie müssen fortan in Europa, wo sie ihre Milliarden verdienen, einen fairen Steuerbeitrag leisten.

Einer allerdings fehlte gestern am  Podium: Manfred Weber. Ausgerechnet der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) –  und damit jener Mann mit den meisten Chancen auf den Kommissionsposten – hatte sich wegen einer „Terminkollision“ entschuldigt. Bei der zweiten „Elefantenrunde“ am 15. Mai wird der Bayer allerdings dabei sein. ORF III wird  übertragen.

Bei der lebhaften und durchaus anspruchsvollen Debatte zwischen dem niederländischen Sozialdemokraten Timmermans, seinem grünen Landsmann Bas Eickhout, dem Tschechen Jan Zahradil (EKR), dem belgischen Liberalen Guy Verhofstadt (ALDE) und der Slowenin Violeta Tomic (Linksfraktion) ging es vor allem darum, sich einmal einem breiteren Publikum zu präsentieren. Sie alle können nur indirekt gewählt werden – so wäre etwa eine Stimme für die SPÖ automatisch auch ein Votum für den S&D-Spitzenkandidaten Timmermans.

Debatte der EU-Spitzenkandidaten: Mehr Europa, nur einer will nicht

Frisch gestärkt hatte Timmermans gestern auch der jüngste Wahlerfolg der spanischen Sozialisten. Die europäischen Sozialdemokraten können wieder siegen. Der sozialdemokratische Vize-Präsident der EU-Kommission fühlt sich daher im Aufwind - und das gleich mehrfach. Denn wählen die Briten Ende Mai bei den EU-Wahlen nun doch mit, kann er auf die Unterstützung der britischen Labour-Abgeordneten zählen. Damit steigen Timmermans bisher minimale Chancen, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker doch noch zu beerben.

Die vielen Unbekannten

Größtes Handicap aller internationalen EU-Spitzenkandidaten aber bleibt ihr geringer Bekanntheitsgrad. Abgesehen von dem für seine markigen Sprüche berüchtigten belgischen früheren Regierungschef Verhofstadt sind die meisten EU-Spitzenkandidaten europaweit wenig bekannt. Selbst Favorit Manfred Weber hat zu kämpfen. Sogar in seiner Heimat Deutschland hat nur ein Viertel der Bürger den Namen des Bayern schon einmal gehört.

Kommentare