Eisiger Gegenwind für Boris Johnson

Eisiger Gegenwind für Boris Johnson
Großbritanniens Premier wird von vielen Seiten kritisiert. Misstrauensantrag wird immer realistischer

Da war es nur noch eine: Eine Stimme beträgt seit gestern die Regierungsmehrheit von Boris Johnson im britischen Unterhaus. Denn am Donnerstag bei der Nachwahl im walisischen Wahlkreis Brecon and Radnorshire mussten die Tories einen Sitz im Parlament an die Liberaldemokraten abgeben. Ihr Kandidat Chris Davies verlor dort – nach einer Korruptionsaffäre – gegen die Liberaldemokratin Jane Dodds. Die Tories haben gemeinsam mit den nordirischen Unionisten (DUP) jetzt noch 320 Sitze im Parlament, die Oppositionsparteien 319.

Die Wahlniederlage rundet die erste Woche von Boris Johnson als britischer Premierminister stimmig ab. Denn schon in den ersten Tagen seiner Amtszeit als Regierungschef wehte ihm ein eisiger Gegenwind entgegen. Das zeigte sich bei seiner Tour durch das Königreich in den vergangenen Tagen, auf der er eigentlich für seinen „Ohne-Wenn-und-Aber“-Kurs gegenüber der EU werben wollte. Mit Pfiffen und Buhrufen wurde er in Schottland empfangen, kritische Statements erhielt er von der dortigen Ersten Ministerin ebenso wie vom walisischen Regierungschef.

„Geistlos“

Die Schottin Nicola Sturgeon nannte Johnsons Brexit-Kurs „gefährlich“. Der Waliser Mark Drakeford warf dem Tory-Premier „geistlosen Optimismus“ vor, der irische Premier Leo Varadkar warnte Johnson am Telefon erneut vor einem Austritt ohne Notfallplan („Backstop“) für die irische Grenze. Er erinnerte Boris Johnson – ähnlich wie andere EU-Vertreter – erneut daran, dass an dem Austrittsabkommen zwischen London und Brüssel, in dem der Backstop enthalten ist, nichts geändert werden könne.

Das zieht Kreise bis über den Atlantik: Irlands Beziehungen ins US-Repräsentantenhaus sind gut, 54 Abgeordnete zählen sich dort zu den „Freunden von Irland“. Wer durch eine harte Grenze das irische Friedensabkommen gefährdet, der gefährde auch einen möglichen Handelsvertrag mit Washington, warnte die demokratische Sprecherin des Unterhauses, Nancy Pelosi kürzlich in Richtung London.

Der weitere Ablauf bis zum angepeilten Austritt Großbritanniens am 31. Oktober ist völlig ungewiss. Inzwischen verliert das Pfund weiter an Wert, selbst vorgezogene Neuwahlen stehen weiterhin im Raum.

Der Stimmverlust schwächt den Premier nicht zuletzt in seiner Verhandlungsposition mit der EU. Und auch innerhalb der knappen Mehrheit sind lang nicht alle auf Linie. Denn da sitzen mehrere Hard-Brexit-Kritiker rund um Ex-Finanzminister Philip Hammond. Ihre Stimmen in einem möglichen Misstrauensvotum sind dem neuen Premier des Vereinigten Königreiches alles andere als gewiss.

Und dieses wird immer realistischer. Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte unmittelbar nach Johnsons Bestellung durch die Konservative Partei vorige Woche angekündigt, im Parlament einen Misstrauensantrag zu stellen.

Angst vor Austritt

Der raue Wind aus Wales kann Boris Johnson nicht schwer überrascht haben. Auch dort hörte er bei seinem Besuch vor wenigen Tagen Pfiffe. Denn in Wales wollte man zwar den Brexit, jedoch ist die Angst vor einem ungeregelten Austritt groß. Die landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft ist schwer von den Einkünften aus der Europäischen Union abhängig. 740 Millionen Euro Fördergelder können durch Johnsons Versprechen nicht aufgewogen werden.

Wie viele andere lehnt auch Jane Dodds, die Siegerin vom Donnerstag, einen harten Brexit ab: „Hören Sie auf, mit der Zukunft unserer Kommunen zu spielen, und schließen Sie einen ungeregelten Brexit jetzt aus“, ließ sie dem Premier nach ihrem Wahlsieg ausrichten.

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