Eineinhalb Jahre in Islamisten-Hand: Eine Ex-Geisel berichtet

Pater Tom Uzhunnalil
Pater Tom Uzhunnalil wurde 2016 im Jemen verschleppt. Hier schildert er seine Gefangenschaft - und was ihm half, stark zu bleiben.

Eineinhalb Jahre war Pater Tom Uzhunnalil in den Händen jemenitischer Islamisten – an wechselnden Orten, ohne Kontakt zur Außenwelt. Im September 2017 kam der indische Salesianer, der vor seiner Entführung fünf Mutter-Teresa-Schwestern in einem Seniorenheim in Aden unterstützt hatte, frei - durch das Engagement des Vatikan, Indiens und des Oman. Die genauen Umstände kennt er selbst nicht. Derzeit besucht der 61-Jährige auf Einladung der Päpstlichen Missionswerke (Missio) Österreich.

KURIER: Wie erinnern Sie sich an Ihre Entführung?

Pater Tom: Am Morgen des 4. März 2016 betete ich in der Kapelle, die Schwestern waren schon gegangen, um Frühstück und Medikamente für die Alten vorzubereiten. Um halb neun verließ ich die Kapelle, als ich Schüsse vom Haupteingang her hörte. Ich sah drei Schützen mit automatischen Waffen, einer griff nach meinem Arm, ich sagte intuitiv, ich sei Inder. Sie erschossen den Gärtner und einen jungen Arbeiter und ich sah einen der Schützen ins hundert Meter entfernte Altenheim gehen.

"Er schoss ihnen in den Kopf"

Er brachte je zwei Schwestern nacheinander heraus, vier insgesamt. Dann schoss er ihnen in den Kopf, ich konnte sie fallen sehen. Sie fragten mich, ob ich Muslim sein, ich sagte, ich sei Christ. Einer befahl mir, mich in den Kofferraum des Autos zu legen. Sie fuhren mit mir davon, nach einiger Zeit stoppten sie, verbanden mir die Augen und setzten mich in ein anderes Auto. Mir wurde alles weggenommen, sie gaben mir andere Kleidung, dann begannen die eineinhalb Jahre in Gefangenschaft.

Eineinhalb Jahre in Islamisten-Hand: Eine Ex-Geisel berichtet

Pater Tom nach der Freilassung 2017

Wie erlebten Sie diese?

Die Entführer verlegten mich fünf oder sechs Mal, ich hatte die meiste Zeit verbundene Augen. Alles was ich hören konnte, waren Flugzeuge, die über mich hinwegflogen, Bombenexplosionen und Gewehrfeuer. Sie haben Videos mit mir gemacht, fünf oder sechs Mal, in denen ich Papst Franziskus und die indische Regierung um Hilfe bitten musste, in Worten, die sie mir vorgaben.

Was glauben Sie, warum wurden Sie nicht umgebracht?

Die Entführer haben alle Schwestern umgebracht, die sie finden konnten und viele Arbeiter, insgesamt 16 Menschen. Warum sie mich nicht umbrachten? Es war die Gnade Gottes, Gott wollte, dass ich über meine Erfahrungen erzähle. Vielleicht, um den Glauben an Gott zu stärken.

Wie konnten Sie so stark bleiben?

Dank Gottes Hilfe und der Gebete vieler Menschen hatte ich keine Albträume, keinen psychischen Zusammenbruch, keine Depressionen. Ich betete für die getöteten Schwestern, ich betete die Heilige Messe, ich betete für alle Menschen - auch für die, die mich gefangen halten. Ich bat Gott, mich geistig gesund zu halten. Bibelverse gaben mir Kraft.

Was wissen Sie über Ihre Entführer, konnten Sie mit ihnen sprechen?

Am ersten Ort fragten sie mich noch einiges auf Englisch, danach sprachen sie nur mehr arabisch, das ich nicht verstehe. Ich hatte keine Information mehr aus der Außenwelt. Aber sie waren freundlich, sie folterten mich nicht, ich habe noch alle Zähne, meine Knochen sind heil. Ich weiß nicht, zu welcher Gruppe sie gehörten, aber ich wusste, sie sind islamische Fundamentalisten. Es gibt aber viele gute Muslime, ich hatte gute muslimische Freunde, von denen ich nicht weiß, wie es ihnen jetzt geht.

Können Extremisten wie Ihre Entführer zum Umdenken bewegt werden - und wie?

Das Gebet ist die einzige und mächtigste Waffe, nicht Kugeln oder Waffen. Auch wenn man die Antwort nicht unmittelbar bekommt, bringen Gebete den Wandel. Sie halfen mir, ruhig zu bleiben, und brachten die Kidnapper vielleicht auch dazu, mich nicht zu foltern – Gefangenschaft bleibt aber Gefangenschaft.

Was machen Sie heute?

Ich lebe wieder in Bangalore in Indien. Wir bei den Salesianern von Don Bosco arbeiten für Jugendliche und Benachteiligte, ich habe aber noch keine konkrete Aufgabe, weil ich seit meiner Freilassung viel reise. Wenn ich gefragt werde, ob ich wieder in den Jemen gehe, bin ich bereit.

Wo Sie Pater Tom in Österreich treffen können, erfahren Sie auf der Homepage von Missio

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