US-Gouverneurswahlen: Eine feste Watsch’n für Biden
Passend zur Kaltfront, die den ersten Frost nach Washington gebracht hat, wachte US-Präsident Joe Biden gestern nach seiner durchwachsenen Europa-Reise mit einem Wahlergebnis auf, das ihn und viele Demokraten frösteln lässt: Bei den Gouverneurswahlen im Bundesstaat Virginia vor den Toren der Hauptstadt haben die Republikaner einen knappen 51-zu-49-Prozent-Überraschungssieg gelandet, der auch eine heftige Watsch’n für den Mann im Weißen Haus bedeutet.
220 der 435 Sitze haben die US-Demokraten im Repräsentantenhaus inne – eine dünne Mehrheit.
Kamala Harris ist als Vizepräsidentin die einzige Stimme, die die Demokraten-Mehrheit im Senat gewährleistet.
42,8 Prozent – das sind Joe Bidens Zustimmungswerte, 50,8 Prozent lehnen den US-Präsidenten ab. Seit 1945 hatten zu diesem Zeitpunkt (287 Tage im Amt) nur Donald Trump (37,8) und Gerald Ford (38,4) schlechtere Werte.
Glenn Youngkin, ein Neuling aus der Investment-Branche, hat den lange favorisierten Demokraten Terry McAuliffe geschlagen, der bereits von 2014 bis 2018 den Posten des Quasi-Ministerpräsidenten im Ostküsten-Staat bekleidete. Nach zwölf Jahren Abstinenz übernimmt damit wieder ein Konservativer die Führung im Kapitol von Richmond. McAuliffe, der angesichts sinkender Umfragewerte kurz vor der Wahl mit Barack Obama, Joe und Jill Biden sowie Kamala Harris „Dickschiffe“ in seine Kampagne holte, charakterisierte den zwei Meter großen Millionär monatelang etwas bemüht als Donald Trump-Avatar.
Ersten Nachwahl-Befragungen zufolge ging diese Strategie besonders bei Frauen und unabhängigen Wählern in den umkämpften Vorstädten nach hinten los. Hier zeigten sich große Teile der Wählerschaft genervt über anhaltende Corona-Probleme, hohe Spritpreise, galoppierende Inflation, mickrige wirtschaftliche Erholung, Bildungskonflikte in den Schulen und Gesetzgebungsstillstand in Washington.
Bidens milliardenschwere Modernisierungspakete für Klimaschutz und mehr Sozialstaat scheitern bisher an Flügelkämpfen in der demokratischen Partei. In dieser Gemengelage Trump als Beelzebub und Youngkin als dessen Virginia-Statthalter vorzuführen, wie McAuliffe es versuchte, traf nicht das Empfinden vieler Wähler. Zumal der 54-Jährige, der mit Trump inhaltlich gewiss etliche Gemeinsamkeiten hat, den Ex-Präsidenten, der in Virginia bei den Präsidentschaftswahlen gegen Biden zweistellig verlor und herzlich unbeliebt ist, kaum erwähnte und konsequent auf Distanz hielt; es gab keinen einzigen gemeinsamen Auftritt.
Dass der in den konservativen ländlichen Gebieten im Süden wie in den urbanen Metropol-Räumen im Norden Virginias nach allen Seiten moderat und für Brot-und-Butter-Themen aufgeschlossen freundlich auftretende Youngkin gewann, hat in republikanischen Kreisen eine Debatte ausgelöst, „ob Trumpismus auch ohne Trump funktionieren kann“. Mit seiner ausgleichenden Persönlichkeit habe Youngkin „jene Wechselwähler angesprochen, die Biden bei den Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr dem chronisch andere unnötig vor den Kopf stoßenden Trump ausgespannt hat“, sagte ein republikanischer Analyst zum KURIER.
Stillstand droht
Für Präsident Biden ist das Resultat in Virginia ein Warnschuss. In einem Jahr werden Senat und Repräsentantenhaus in Washington neu gewählt. Bisher halten die Demokraten dünne Mehrheiten in beiden Kammern. Das Beispiel Youngkin zeigt, wie schnell die Verhältnisse kippen können. Im Falle einer Machteroberung der Republikaner wäre Biden politisch eingemauert. Reformen blieben dann bis zur nächsten Präsidentschaftswahl 2024 Hirngespinste. Kann Biden nicht bald seine Konjunktur-Programme durch den Kongress auf die Straße bringen, könnte der Sieg Glenn Youngkins der Anfang von seinem Ende gewesen sein.
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