Ein Tag in der Queen-Schlange: Diana-Debatten und Charles-Witze
Papa, du sollst nicht übertreiben!“, lachend fasst Phil seinem alten Vater an die Schulter. Nicht 80, sondern nur 79 Jahre Dienst in der Armee würden sie alle drei, mit Bruder Ralph, zusammenbringen. Der ist auch dabei an diesem sonnigen Morgen am Themseufer. „Da können wir es zu dritt gerade mit der Queen aufnehmen“, gibt sich Phil jetzt nachdenklicher: „Die hat wirklich ihre Pflicht getan - und von so einem Chef muss man sich doch ordentlich verabschieden.“
Von Pflichtgefühl und Disziplin ist viel die Rede in dieser Schlange durch London, auf dem Weg zum Sarg der Queen in der Westminster Hall. Nicht nur die Armeeveteranen, die allesamt mit ihren Orden an der Jacke angetreten sind, erwähnen das gleich als erstes, wenn sie über die Tote sprechen. Viele hier sind ihr vor allem dafür dankbar, dass sie so tadellos ihren Dienst geleistet habe, an ihnen, ihren Landsleuten, an Großbritannien, an der Krone.
Dafür wolle man sich jetzt noch einmal bedanken, „und zwar egal, wie lange das dauert.“
Es dauert zunehmend länger an diesem Wochenende in London. Von zwölf Stunden Wartezeit schrauben sich die Nachrichtensender unaufhaltsam bis 24 Stunden hoch, um schließlich zu vermelden, dass der Zugang zur Schlange vorerst gesperrt sei, wegen Überfüllung.
Schlange vor der Schlange
Der Ansturm aber lässt sich davon nicht bremsen. „Die stellen sich einfach weiter an - damit sie sich später, wenn wir die Schlange wieder aufmachen, auch wirklich anstellen können“, erzählt einer der freiwilligen Ordner, die das Ende der Schlange in einem Park südlich der Themse bewachen.
Pflichtgefühl und Disziplin
„Für viele ist wohl die Mühe wichtiger Teil des Ganzen“, macht sich Österreichs Botschafter in London, Michael Zimmermann, seine Gedanken über dieses zutiefst britische Phänomen: „Je länger man hier steht, desto besser kann man auch sein Pflichtgefühl und seine Disziplin demonstrieren. Nach dem Motto: Wenn die Queen mehr als 70 Jahre gedient hat, dann kann ich doch ein paar Stunden hier stehen.“
Schlange stehen ist ohnehin ein britisches Ritual. Schon zu Königin Viktorias Zeiten, also im 19. Jahrhundert, wäre das üblich gewesen, erklären Historiker großspurig in den Medien. Wo man in Österreich schon beginnt sich mit allen Mitteln nach vorne zu kämpfen, oder grantig „zweite Kassa“ zu rufen, bewahrt man auf der Insel Ruhe, Gelassenheit und Humor.
„Gott schütze die Schlange“
Da kommt es gelegen, dass sich das englische Wort „queue“, also Schlange, nur unwesentlich vom Wort „queen“ unterscheidet. Also stimmen manche beim Warten fröhlich ihre neue Version der Hymne an: „God save the queue“. Andere vertreiben sich die Wartezeit mit Gedankenspielen über die Warteschlange. Ob sie denn tatsächlich einen Anfang und ein Ende habe, oder vielleicht doch von jetzt an für immer im Kreis...
Erinnerungen an die Queen
Zu solchen Späßen sind nicht alle aufgelegt. Manche sind in Gedanken versunken, die offensichtlich zu privat sind, um sie einem Reporter aus Österreich zu erzählen. Andere halten sich schweigend und mit roten Augen an Taschentüchern fest, erinnern sich im Gespräch an eine Begegnung mit der Queen, bei einer königlichen Visite in der Schule, im Sportverein, bei einer Hilfsaktion irgendwo im Land. Manchmal ist es auch nur das Bild der Queen, das in einer Küche bei Eltern, oder Großeltern gehangen ist. Und zwar, das geht wie ein Leitmotiv durch die Menschenmenge, „schon immer. Die Queen war immer da.“
Diana oder Meghan
Und zwar für mindestens drei Generationen von Briten, die sich jetzt – bunt durcheinander gemischt – in dieser Schlange wiederfinden. Vor allem Frauen jeden Alters sind hier, und das meistens nicht alleine. Manchmal alte Freundinnen, die sichtlich das elegante Kostüm von ganz hinten aus dem Kasten geholt haben, manchmal Mütter mit ihren erwachsenen Töchtern, die eifrig darüber diskutieren, ob Meghan und die verstorbene Diana etwas gemeinsam haben und welche der beiden die wirkliche Rebellin sei.
Von Fremden zu Freundinnen
Oft auch ist es gleich eine Handvoll Freundinnen, die sich in Turnschuhen und mit sportlichem Ehrgeiz zum Anstellen und Aussprechen getroffen haben: „Nächste Woche treffen wir uns dann wieder im Cafe.“
Und jene, die noch keine Freundinnen waren, die sich vielleicht vor diesem Tag gar nicht gekannt haben, verabschieden sich am Ausgang mit Umarmungen, Tränen und dem Versprechen einander bald wiederzusehen. Und bei einer gemeinsamen Zigarette, oder einem Schluck aus einer mitgebrachten Flasche, finden viele bald ihren Humor wieder: „Dachte schon, wenn wir da rauskommen, ist auch der Charles nicht mehr König.“
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