Stress und Sorgen statt Urlaubsstimmung, wohin die Briten diesen Sommer auch blicken. Auf den Flughäfen von London bis Manchester bilden sich aufgrund von Personalmangel nach Pandemie und Brexit lange Warteschlagen; Reiselustige müssen wegen Kapazitätsengpässen und gestrichenen Flügen in Terminals übernachten; genervte Familien können wegen Verzögerungen bei der Reisepass-Ausstellung nicht wie geplant in das so heiß geliebte Spanien fliegen.
Am Ärmelkanal staut es sich, weil französische Grenzbeamte seit dem Brexit eingehender kontrollieren und britische Pässe abstempeln. Wer per Zug die eigene Insel erkunden will, muss dieser Tage immer wieder Streiks befürchten. Und die schnell ansteigende Inflation macht sogar Heimaturlaub und andere Freuden teurer.
Wer da auf gute Nachrichten daheim gehofft hatte, wurde Ende der Woche herb enttäuscht: Die Bank of England ließ mit einer Hiobsbotschaft aufhören. Nachdem die Inflationsrate im Juni ein 40-Jahre-Hoch von 9,4 Prozent erreicht hatte, sieht die britische Notenbank die Teuerungsrate, angetrieben von Energiepreisen, im Herbst auf 13,3 Prozent weiter galoppieren; bisher hatte sie elf Prozent prognostiziert.
Ebenfalls für heuer sagt sie den Beginn einer 15-monatigen Rezession vorher. „Großbritannien schlittert in die Krise“, titelte die Times. Ein mehr als fünfprozentiger Rückgang bei Haushaltseinkommen bis zum Tiefpunkt der Krise wäre laut Experten der deutlichste seit Beginn der Daten-Erfassung in den 1960er-Jahren.
„The Big Squeeze“
„Großbritannien steht eine langwierige Rezession und der schlimmste Einbruch des Lebensstandards seit mehr als 60 Jahren bevor“, fasste die Financial Times zusammen. Die Prognosen für das Land sind düsterer als für andere Teile der Welt. „Haushalte sind dem Energiepreisschock stärker ausgesetzt als in den USA und weniger durch staatliche Maßnahmen geschützt als in der Eurozone, während die britische Wirtschaft auch durch Brexit-Auswirkungen beschädigt wurde“, hieß es in der Zeitung. Manche Schlagzeilen spielen mit dem englischen Wort für Druck oder Klemme und sprachen von „The Big Squeeze“.
Schon seit Ende Juni warnen Medien immer wieder vor einem „summer of discontent“, also einem „Sommer der Unzufriedenheit“. Das ist eine Anspielung auf den britischen „Winter der Unzufriedenheit“ 1978/79, als Massenstreiks in Reaktion auf hohe Inflation das Land lahmlegten, die Labour-Regierung klein beigeben musste und die folgende Wahl verlor.
Hitziger Wahlkampf
Liz Truss und Rishi Sunak, die beiden Kandidaten für die Posten des britischen Premiers und Chefs der konservativen Tory-Partei, versprechen ihren Landsleuten vor diesem Hintergrund, die besseren Heilmittel parat zu haben und stellen massive Steuersenkungen in Aussicht.
Im Gegensatz zu den dunklen Wolken am Wirtschaftshimmel präsentiert sich das britische Wetter derzeit als sonnig und untypisch heiß. Wasserfirmen haben wegen des trockensten Julis seit 1935 seit Freitag „hosepipe bans“, also Gartenschlauch-Verbote, in der südenglischen Grafschaft Hampshire und auf der Isle of Wight verhängt. Kent und Sussex folgen am kommenden Freitag. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 1.000 Pfund. Millionen von Briten, die stolz sind auf ihre grünen Daumen, bleibt daher momentan nichts weiter übrig, als diese zu drücken – in der Hoffnung auf bald bessere Aussichten.
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