Ein Gaspreisdeckel in Europa naht – aber was bringt er?
Nach langem Streit dürfte sich die EU heute auf eine Preisobergrenze für Gas einigen. Die Energierechnungen für Haushalte werden dennoch hoch bleiben.
18.12.22, 19:00
Die Temperaturen sinken – und mit ihnen die Füllstände in Österreichs Gasspeichern. Zu 87,6 Prozent waren sie am Freitag noch gefüllt, um drei Prozentpunkte weniger als noch vor einer Woche. Die Zeit drängt also, folgende Frage zu beantworten: Wo und wie werden wir wieder Gas einkaufen, ohne dass die Preise durch die Decke gehen? Und noch dringender: Was kann die EU tun, um die hohen Gaspreise wieder herunterzubringen? „Einen europaweiten Gaspreisdeckel einführen“, fordert die Mehrheit der EU-Staaten. Heute, Montag, dürften sich die 27 EU-Energieminister in Brüssel nach monatelangem, erbittertem Streit auf den Deckel einigen.
Wie sieht so ein Gaspreisdeckel aus?Rund 140 Euro kostete eine Megawattstunde Gas am Freitag an der niederländischen Gaspreisbörse TTF. Heute sollen die Energieminister eine genaue preisliche Obergrenze festlegen. Zuletzt war die Rede von einem Deckel zwischen 180 und 200 Euro pro Megawattstunde. Liegt der Gaspreis dann drei Tage lang über diesem Deckel, und ist er überdies noch um mindestens 35 Euro teurer als Flüssiggas (LNG), darf kein Gas mehr gekauft werden. Mindestens 20 Tage lang, bis sich die Preise wieder beruhigt haben.
Was bringt so eine Art Notbremse? Exzessive Preisschocks wie im Sommer sollen so verhindert werden. Im August, als ganz Europa panikartig andere Gaslieferanten als Russland suchte, trieben die EU-Staaten in Konkurrenz zu den anderen die weltweiten Gaspreise hoch. Im August lag der Rekordwert bei unfassbaren 340 Euro pro Megawattstunde. Im Herbst 2021, vor dem russischen Krieg, betrug der Wert im Schnitt 40 Euro.
Warum ist die österreichische Regierung nicht glücklich mit dem Preisdeckel?Die Erfahrung lehrt: Wo Preisdeckel verordnet werden, kommt es meist zu Knappheit. Zu sehen war das zuletzt in Ungarn: Dort musste die Regierung nun den im Vorjahr aufgesetzten Preisdeckel für Benzin wieder aufheben. Zuletzt hatten Tankstellen kein Benzin mehr, weil ausländische Lieferanten kein Benzin zu Preisen unter dem Marktwert nach Ungarn liefern wollten. Genau solch einen Versorgungsmangel bei Gas befürchtet man in Österreich und Deutschland, sollte der Deckel wirksam werden. Die Anbieter, etwa Norwegen oder die USA, könnten ihr Gas an höher bietende Kunden verkaufen. Dieses Gas würde in der EU dann fehlen.
Und was, wenn Österreich in so einem Fall das Gas tatsächlich ausgeht?Dann kann Wien die EU-Kommission ersuchen, speziell für Österreich den Deckel kurz aufzuheben. Österreich dürfte also Gas kaufen, allerdings zu hohen Preisen.
Wird Gas mit einem Preisdeckel für Endverbraucher dann billiger?Wohl nicht. Der Deckel hat das Ziel, hochschießende Preise einzubremsen, nicht aber zu senken. Im Gegenteil: Auf viele heimische Haushalte dürften erst noch höhere Rechnungen zukommen. Die Gasrekordpreise im Großhandel vom Sommer schlagen nämlich mit einiger Verzögerung erst bei den nächsten Vorschreibungen für Endkonsumenten zu Buche.
Gibt es denn andere Möglichkeiten, den Gaspreis zu senken?Große Hoffnungen liegen nun beim gemeinsamen europäischen Gaseinkauf. Auch er soll heute beim Treffen der Energieminister den Startbefehl erhalten. Über eine gemeinsame Plattform werden dann alle 27 EU-Staaten die ersten 15 Prozent ihrer Speichermengen gemeinsam erwerben. Durch diese gewaltige Marktmacht hofft die EU, die Preise niedriger als bisher ansetzen zu können. Mit dem Wiederauffüllen der Speicher wird im März begonnen.
Heuer betrug der Anteil an russischem Gas in den europäischen Speichern noch 40 Prozent. Wie werden wir diesen Anteil ersetzen?Als wichtigsten Lieferanten von Pipelinegas an die EU hat mittlerweile Norwegen Russland ersetzt. Auf dem Flüssiggas-Sektor (LNG) sind die USA der größte Lieferant für Europa. Noch aber ist nicht völlig klar, wo Europa Ersatz für das möglicherweise ganz ausfallende russische Gas 2023 finden wird. Österreich hat im Februar noch 80 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland bezogen. Im Oktober lag dieser Anteil bei nur noch 23 Prozent. Der hierzulande wichtigste Lieferant ist derzeit ebenfalls Norwegen.
Was, wenn sich die EU-Energieminister heute doch wieder nicht einigen?Es wäre ein verheerendes Signal an die Märkte. Die Preise würden wieder steigen, der gemeinsame EU-Gaseinkauf wäre abgesagt genauso wie geplante schnellere Bewilligungen für erneuerbare Energieträger, Russland würde sich ins Fäustchen lachen. Fazit: Alle Regierungen wissen, dass sie sich einigen müssen. Und Deutschland hat seinen kategorischen Widerstand gegen den Preisdeckel aufgegeben.
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