Edtstadler will neuen Vertrag für Europa in EU-Reform einbringen
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) will die Forderung nach einem neuen EU-Vertrag in die EU-Reformkonferenz zur Zukunft Europas einbringen. Im APA-Interview fordert sie, dass die EU "die großen Themen gemeinsam angeht und die kleinen Themen in den Mitgliedsstaaten lässt". Zur Migration hofft sie auf einen Vorschlag Brüssels, "der weggeht von einem Verteilungsmechanismus".
APA: Wollen sie aktiver als frühere Regierungen in der Europapolitik mitmischen?
Edtstadler: Wir wollen jedenfalls eine wesentliche Rolle spielen in Europa. Wir stehen jetzt an einem Wendepunkt. Es gibt eine neu bestellte Kommission und ein relativ junges Europäisches Parlament. Wir haben viele Vorhaben, und es liegen auch viele Herausforderungen vor uns. Natürlich im Bereich des Klimawandels, aber auch im Bereich der Migrationsfrage. Und auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung, die entsprechende Vorbereitungen braucht.
Warum braucht Europa einen neuen Vertrag?
Der Vertrag von Lissabon ist zehn Jahre alt. Inzwischen ist sehr viel passiert in der Welt, aber auch in Europa. Wir hatten eine Migrationskrise, wir hatten eine Wirtschaftskrise. Wir sind mit Fragen konfrontiert, zum Beispiel auch im Bereich Cybercrime, die völlig neu sind und mit denen wir auch erst lernen müssen umzugehen. Es geht darum, dass man hier die großen Themen gemeinsam angeht und die kleinen Themen auch in den Mitgliedsstaaten lässt.
Den neuen EU-Vertrag bringen Sie als Forderung in die Konferenz zur Zukunft Europas ein?
Ja, definitiv. Die Konferenz ist der Anfangspunkt eines Reformprozesses. Wie kann man die Bürger besser miteinbeziehen, wie kann man es verständlicher machen.
Wer wird Österreich in der Konferenz vertreten?
Die Letztverantwortung liegt bei Bundeskanzler Sebastian Kurz. Meine Aufgabe wird es sein, während des gesamten Prozesses die Positionen und Ideen Österreichs voranzutreiben.
Wollen Sie Kompetenzen von der EU zurückholen?
Das eine schließt das andere nicht aus. Es braucht ein starkes Europa. Das heißt, Europa muss sich auf diese Herausforderungen konzentrieren, die nur gemeinsam gelöst werden können. Das heißt für mich vor allem, dass Europa sich seiner Macht bewusst werden muss. Dafür braucht es raschere Entscheidungsprozesse, zum Beispiel in der Außenpolitik, um ernst genommen zu werden in der Welt. Wir stehen großen Playern wie China, Russland oder den USA gegenüber, und wir wollen hier glaubwürdig auftreten. Daher ist jetzt auch die Konferenz zur Zukunft Europas ein ganz wesentlicher Schritt, um über diese Dinge zu sprechen.
Und schärfere Sanktionen gegen EU-Staaten ?Im Bereich der Außenpolitik muss man über das Prinzip der Einstimmigkeit ernsthaft nachdenken, denn es interessiert die Welt nicht, ob ein kleiner Mitgliedsstaat in der Europäischen Union vielleicht eine minimal abweichende Meinung zu einem Konflikt hat. Zum Beispiel in Venezuela oder auch im Bereich Iran. Wir brauchen hier schnelle Entscheidungen und ein glaubwürdiges Auftreten. Wir müssen mit einer Stimme nach außen sprechen. Wir brauchen für diese gemeinschaftlichen Bereiche auch Regeln. Das Motto muss sein: Weniger Regeln, an die sich dann aber alle halten. Wir werden unsere Währungsunion nicht stabil halten können, wenn sich nicht alle tatsächlich an die Budgetvorgaben halten. Wir werden die Migrationskrise nicht bewältigen können, wenn nicht alle tatsächlich bereit sind, einen Beitrag zu leisten. Aber nicht indem man über die Mitgliedsstaaten drüberfährt, sondern mit einer möglichst breiten Palette an Möglichkeiten, um hier teilzunehmen. Sei es durch die Entsendung von Frontexbeamte, sei es durch humanitäre Hilfe, durch die Aufnahme von Asylwerbern oder ähnlichem, gerade auch die Kooperation mit Drittstaaten betreffend.
Sind Sie für Sanktionen gegen Länder, welche die Dublin-Regeln nicht einhalten?
Edtstadler: Ich war Strafrichterin. Ich weiß, dass manche Dinge nur eingehalten werden, wenn es tatsächlich auch Sanktionen gibt. Ja, es muss auch Sanktionen geben, aber nur als letzte Maßnahme. Um Ihnen ein anderes Beispiel zu nennen: Das Artikel-7-Verfahren ist eines, das eingeleitet wird, wenn Staaten von der Rechtsstaatlichkeit abschweifen. Allerdings ist es ein Ultima-Ratio-Szenario, wo schon relativ viel passiert sein muss.
Im Verfahren gegen Polen und Ungarn geht nicht viel weiter...
Artikel-7-Verfahren wird es immer brauchen als letzte Möglichkeit. Es gibt auch Überlegungen, einen "Review-Zirkel" einzuführen, in dem alle Mitgliedsstaaten beobachtet werden. Ich habe aber deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten natürlich einbezogen werden müssen.
Warum hält die Bundesregierung an der Sparforderung zum EU-Budget fest?
Diese Position ist bekannt, dass wir nach wie vor ein Prozent aus dem Brutto-National-Einkommen aller 27 Länder einzahlen wollen. Wenn wir bei diesem einen Prozent bleiben, wird aufgrund des Wirtschaftswachstums der absolute Betrag in Zahlen sehr viel höher sein, als er das bisher war. Rund 100 Mrd. Euro mehr im Gesamtbudget der Union. Diese zusätzlichen Mittel müssen auf die neuen Prioritäten aufgeteilt werden. Gleichzeitig müssen wir aber auch schauen, wie man alle bisher bestehenden Programme so ausrichtet, dass sie dem Klimaziel dienen. Insgesamt sollen 25 Prozent des gesamten mehrjährigen Finanzrahmens auf klimawirksame Maßnahmen ausgerichtet werden. Nicht nur Forschung und Entwicklung, sondern auch Landwirtschaft und Kohäsion oder auch der Ausstieg aus der Kohle.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Streit um das Erweiterungsdossier gelöst wird?
Ich bin sehr optimistisch. Zum einen wegen der Gespräche in Paris. Weil hier auch ganz klar ausgesprochen wurde, dass man die Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien nicht verzögern möchte. Aber gleichzeitig will Frankreich einen Reformprozess des Beitrittsprozesses ganz allgemein. Wir unterstützen diese Reform, da wir auf dem Standpunkt stehen, dass es schneller gehen muss und klarer sein muss. Damit auch die Staaten, die viel für den Beitritt machen, rascher eine Möglichkeit zum Beitritt bekommen.
Zur Migrationsfrage: Österreich ist gegen die Wiederaufnahme der Sophia-Mission wegen der Seenotrettung?Edtstadler: Ich widerspreche heftig, dass Österreich gegen die Seenotrettung ist. Natürlich müssen Menschen aus dem Mittelmeer und vor dem sicheren Ertrinken gerettet werden. Das ist unsere humanitäre, internationale Pflicht. Aber wir wollen, dass die illegale Migration und das Schlepperunwesen endlich ein Ende hat. Solange die Seenotrettung ein sicheres Ticket nach Europa ist, werden Menschen immer wieder auf wackelige Boote steigen und diesen gefährlichen Weg in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa wagen.
Sind verpflichtende Flüchtlingsquoten vom Tisch?
Ja. Hier hat mich das Gespräch mit dem zuständigen Kommissar Margaritis Schinas positiv gestimmt. Es wird einen Vorschlag der Kommission geben, der anders sein wird als der bisherige. Wir hoffen, dass es in die Richtung geht, die Österreich auch immer propagiert hat: Eine gemeinsame Verantwortung und eine verpflichtende Solidarität. Das ist die Überschrift. Jeder muss einen Beitrag leisten, und man muss die Lasten ausgleichen und auch denen vor Ort helfen, die am meisten mit den Ankommenden beschäftigt sind.
Was bedeutet das für den EU-Außengrenzschutz und Österreichs Beitrag?
Wir unterstützen das klare Ziel, den Außengrenzschutz bis 2024 zu verstärken und auf 10.000 Frontexbeamte aufzustocken. Da wird es natürlich einen Schlüssel geben, wer wie viele Beamte in den Grenzschutz entsendet. Das ist im Moment noch in Ausarbeitung, weil darauf geachtet werden muss, dass die Lasten gleich verteilt werden. Dass ein Land wie Österreich, das schon sehr viele Asylwerber 2015/16 aufgenommen hat, das auch entsprechend angerechnet bekommt.
Es gibt Länder, die Asylwerber aufnehmen wollen und welche, die das nicht wollen. Es muss aber klar sein, dass jeder einen Beitrag leisten muss. Wer keine Asylwerber aufnehmen möchte, muss auf eine andere Art seinen Beitrag leisten. Genau darin sehe ich jetzt die Chance, einen Neustart in der Migrationspolitik zu schaffen, der weggeht von einem Verteilungsmechanismus.
Ihr Zugang zum Brexit?
Für mich persönlich ist es immer noch schwer verdaubar, dass Großbritannien tatsächlich am 31. Jänner aus der Union ausscheiden wird. Es beginnen mit 1. Februar die Verhandlungen auf europäischer Ebene, wie die Beziehungen ausgestaltet werden können. Ich bin froh über die Klarheit, die dann herrscht. Von beiden Seiten gibt es größtes Interesse an guten Verhandlungen, und wir haben mit Michel Barnier einen exzellenten und erfahrenen Verhandler. Wir werden alles daran setzen, auch danach eine möglichst gute Beziehung zu Großbritannien zu haben, etwa im Zuge eines Freihandelsabkommens mit der EU.
Sind die Briten gut informiert gewesen?
Wir sollten alle aus dem Brexit lernen. Der Brexit hat uns vor Augen geführt, dass es auch die Möglichkeit gibt, manipulative Informationen zu bekommen. Er hat uns aber auch gezeigt, dass man EU-Skeptizismus in der Bevölkerung ernst nehmen muss. Dass man dem begegnen muss. Und das führt mich zurück zu der Konferenz der Zukunft Europas.
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