Merkels Klimapaket: Großes Ziel, kleine Schritte
Während auf den Straßen Europas, ja der ganzen Welt, am Freitag lautstark für einen Wandel in der Klimapolitik skandiert wird, beginnt er im Berliner Regierungsviertel mit einem Knirschen. Sessel werden zurecht gerückt. Nach und nach nehmen Kanzlerin Angela Merkel und die Parteichefs der Großen Koalition Platz – hier im Futurium, dem Haus der Zukunft in Berlin, will man mit dem Klimaschutzpaket Großes verkünden.
Doch beginnen muss sie mit einem neuen Versprechen: Die Klimaziele bis 2020 werden nicht eingehalten, dafür wolle man jene für 2030 erreichen. Dazu will man künftig einen Preis auf den Ausstoß von CO2 erheben; und alle weiteren Maßnahmen einer jährlichen Überprüfung unterziehen. Damit will man sicherstellen, dass die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gesenkt werden, verglichen mit dem Stand von 1990.
Den Menschen, die indessen draußen demonstrieren, wird das nicht reichen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, hallt es im Regierungsviertel. Laut den Veranstaltern von Fridays-For-Future zogen 270.000 Menschen durch Berlin. Schon zu Mittag waren die S-Bahn-Züge Richtung Berlin-Mitte voll mit Eltern, Kindern, Schülergruppen und Senioren.
Mit Blick auf die Proteste versucht Merkel den Schulterschluss; lobt diese und die schwedische Aktivistin Greta Thunberg. Was sie an der 16-Jährigen beeindrucke, sei der Satz: „Unite behind the Science“ (Versammelt euch hinter der Wissenschaft, Anm.): Immerhin gibt es „massive“ wissenschaftliche Belege für den Klimawandel, sagt Merkel. „Es ist nicht so, dass wir hier irgendetwas Ideologisches machen, sondern wir machen etwas, wofür es massive Evidenzen gibt.“
(Zu) klein anfangen
Von einem Reporter darauf hingewiesen, dass Wissenschaftler aber eine viel höhere CO2-Bepreisung einfordern, als es die Koalition in ihrem Klimapaket vorsieht, rechtfertigte sie sich: „Wir fangen niedrig an, um auch Menschen mitzunehmen.“ Überhaupt, so Merkel, sei es ein Paradigmenwechsel, dass man CO2 bepreise. Den Preis für den Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases soll es im Verkehr und bei Gebäuden geben – über einen Handel mit Zertifikaten. Eine Tonne CO2 soll ab 2021 zehn Euro kosten, bis 2025 soll der Preis auf 35 Euro steigen. Nach Ansicht von Klimaforschern seien 50 Euro pro Tonne CO2 ein sinnvoller Einstiegspreis, der bis 2030 auf 130 Euro steigen müsse.
Das will die Regierung aber vermeiden; die Obergrenze soll bei 60 Euro liegen. Fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas sollen jedenfalls verteuert werden. Ab 2021 um drei Cent pro Liter, ab 2026 dann weiter auf 9 bis 15 Cent je Liter. Als Ausgleich will man höhere Pendlerpauschalen auszahlen. Zudem werden Bahntickets billiger, bestimmte Flüge teurer, den Ausbau von erneuerbaren Energien will man forcieren – wie ist noch unklar. Wer seine alte Ölheizung austauschen lässt, bekommt eine Prämie. Klimaschutz müsse sozial verträglich sein, betont Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD).
Merkel mit Eckpunktpapier beim Klimagipfel
Mit diesem Paket bzw. dem Eckpunktpapier wird die Kanzlerin also nach New York zum UN-Sondergipfel fahren, wo am Montag die Staats- und Regierungschefs über Klimaschutzmaßnahmen beraten. In Berlin ist man sich indessen sicher, mit dem Paket „ein internationales Zeichen“ setzen, so Markus Söder. Der CSU-Chef spart nicht mit Selbstlob und spricht von einem eindrucksvollen Zurückmelden der Großen Koalition. „Wir waren verliebt ins Gelingen“, ergänzte sein bayerischer Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
Völlig anders beurteilen das die Demonstranten. Luisa Neubauer von der FFF-Bewegung spricht von einem „Schlag ins Gesicht.“ Der Naturschutzbund äußerte Zweifel, dass die Bundesregierung die selbst gesteckten Klimaziele bis 2030 mit den beschlossenen Maßnahmen erreichen werde. Für Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschungritisiert, ist das Paket ein „Dokument der politischen Mutlosigkeit“. Er gehörte zum Beraterkreis des Kabinetts und hält - mit Blick auf die Klimaziele - den Preispfad für den angestrebten nationalen Emmissionhandel zu niedrig.
Kritik kommt auch aus der Opposition: Grünen-Chef Robert Habeck kritisiert die Pendlerpauschale: „Das ist wirklich Unsinn, weil damit ja belohnt wird, lange Wege zu fahren“, sagte Habeck. FDP-Chef Christian Lindner spottet über eine "hektische Flickschusterei". Die Linke hält das Paket wiederum für "unsozial und ineffektiv".
Weitere Diskussionen werden vermutlich folgen: Denn das Programm muss durch Bundestag und Bundesrat. Gut möglich, dass es auf dem Weg zum Klimaschutz noch quietschen wird.
Kommentare