Drogenkrise: Milliarden-Klagewelle gegen US-Konzerne rollt an

Das erste Urteil gegen den Pharmariesen Johnson&Johnson könnte Signalwirkung für Tausende anderer Gerichtsverfahren haben.

572 Millionen US-Dollar Entschädigung. Das Urteil gegen den US-Pharmariesen Johnson&Johnson im Bundesstaat Oklahoma sorgt in den USA bundesweit für Aufsehen. Zum ersten Mal ist nun ein Unternehmen schuldig gesprochen worden, in der Drogenkrise, die in den USA in den vergangenen Jahren für Hunderttausende Tote verantwortlich war und die Politik in Washington in Beschlag genommen hat. Nicht nur Trump auch sein Vorgänger Obama haben den Kampf gegen die massenhafte Verbreitung von Opioiden zu einem ihrer wichtigsten Ziele erklärt. Trump spricht seit Amtsantritt vom "Krieg gegen Drogen".

Drogenkrise: Milliarden-Klagewelle gegen US-Konzerne rollt an

Johnson&Johnson ließ es auf einen Prozess ankommen - und verlor

 

Synthetisch hergestellte Opiate und Opioide, also chemische Verwandte von Morphium oder Heroin, sind von Ärzten in den USA lange ohne jegliche Bedenken oder Beschränkungen verschrieben worden. Vor allem chronische Schmerzen - oft Folge von nicht therapierten Krankheiten - wurden mit diesen Medikamenten ruhiggestelllt, ohne Rücksicht auf die akute Suchtgefahr. Gerade die modernen synthetischen Opioide wie Fentanyl oder Oxycodon wirken nicht nur um Zehnerpotenzen stärker als die klassischen Opiate, sie machen obendrein noch viel schneller abhängig. Die US-Pharmafirmen, neben Johnson&Johnson sind das etwa Purdue, das der prominenten Milliardärsfamilie Sackler gehört, oder Tevo, haben ihre Produktion über viele Jahre konsequent gesteigert und die Medikamente mit großem Werbeaufwand in den Markt gedrückt.

Großflächige Werbung für Opiate

So wurde nicht nur großflächig Werbung in Zeitungen, Fernsehen und sozialen Medien veröffentlicht, auch Ärzte wurden mit aggressivem Lobbying dazu animiert, die Produkte noch großzügiger einzusetzen. Das wahre Ausmaß der Krise wurde vor wenigen Tagen durch bisher geheime Daten der US-Regierung deutlich, die die Washington Post veröffentlicht hatte. Mit fast 80 Milliarden Opioid-Schmerztabletten haben die US-Pharmakonzerne allein in den Jahren 2006 bis 2012 den US-Markt geflutet. Die Folge: 200.000 Tote in Folge einer Überdosis.

Prozesse gegen Supermärkte

Das Urteil gegen Johnson&Johnson  - der Pharmakonzern geht natürlich in Berufung - ist nur der Beginn einer Klagewelle, die in den kommenden Monaten voll Fahrt aufnehmen dürfte. Beinahe jeder US-Bundesstaat hat Klagen in der Opioid-Krise eingereicht. Dazu kommen einzelne Bezirke, Groß- und Kleinstädte, insgesamt sind es um die 2000 Prozesse, die allein öffentliche Behörden gegen die Pharma-Industrie, aber auch gegen Medikamenten-Großhändler und nicht zuletzt gegen Supermarkt-Ketten wie Walmart angestrengt haben. Dazu kommen Tausende weitere Verfahren, in denen Privatpersonen, meist Verwandte von Drogenopfern, als Kläger auftreten. Bürgerinitiativen und Opfervertreter ziehen bereits Vergleiche mit der Klagewelle, mit denen in den 1990er-Jahren die US-Tabakindustrie überflutet worden war. 1998 schließlich einigte man sich auf eine Entschädigungszahlung von mehr als 200 Milliarden Dollar. Experten aber halten solche Summen im aktuellen Fall für unrealistisch. Die damaligen Einnahmen derTabakindustrie, aber auch die gesundheitlichen Schäden für die sie verantwortlich gemacht worden war, überstiegen das Maß der aktuellen Opioid-Krise um ein Vielfaches.

 

Während es Johnson&Johnson auf ein Urteil ankommen ließ, haben sich -zumindest in Oklahoma - andere Konzerne wie Purdue mit dem Bundesstaat auf Entschädigungszahlungen geeinigt. Purdue etwa bezahlte 270 Millionen US-Dollar. Die 572 Millionen US-Dollar, die Johnson&Johnson nun bezahlen soll, sind allerdings weit entfernt von dem, was der dünn besiedelte Bundesstaat ursprünglich verlangt hatte, nämlich 17.5 Milliarden US-Dollar.

Eine Armee von Anwälten

Johnson&Johnson, seit Jahren für seine aggressive Strategie bei Klagen wegen Gesundheitsschäden durch Medikamente bekannt, hatte in Oklahoma laut örtlichen Beobachter "eine kleine Armee von Anwälten" in Stellung gebracht. Bis zuletzt hatte man jede Verantwortung für die Drogenkrise bestritten. Das Urteil, so urteilt ein Anwalt, der Oklahoma in dem Prozess vertrat, gegenüber der "Washington Post" sei ein Signal für alle folgenden Verfahren: "Das ist eine Krise, für die die Pharma-Konzerne verantwortlich sind, mit ihnen begann es und mit ihnen soll es enden." Ein Anwaltskollege, der schon für vier weitere Bundesstaaten Prozesse vorbereitet, die noch vor Jahresende beginnen sollen, gibt sich noch weit militanter: "Was diese Konzerne über Jahre verbrochen haben, macht jetzt Schlagzeilen. Jetzt können sie sich nicht mehr verstecken. Es war ihre Überproduktion, die diese Drogenepidemie verursacht hat. Daran gibt es keinen Zweifel."

 

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