Doab im Osten Afghanistans: 20 Tage lang belagerten die radikal-islamischen Taliban den Bezirk. Die Regierungssoldaten waren von Munitions- und Nahrungsversorgung abgeschnitten. Irgendwann mussten sie aufgeben, die Ältesten der Region vereinbarten mit den Kommandanten der Aufständischen freies Geleit. Anderswo wird auf Biegen und Brechen um die Vorherrschaft gekämpft.
Faktum ist: Doab ist nur einer von weiteren 50 Bezirken (insgesamt gibt es knapp 400 im Land am Hindukusch), der seit 1. Mai in die Hände der islamistischen Miliz fiel. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr konnten die Taliban, die Afghanistan zwischen 1996 und 2001 weit gehend beherrschten, bloß fünf Bezirke einnehmen, von den vier umgehend von Truppen der Zentralregierung in Kabul zurückerobert wurden.
Die jüngste Offensive an gleich mehreren Fronten, da sind sich alle Militärexperten einig, hat vor allem einen Grund: Der seit 1. Mai laufende Abzug aller internationaler Kräfte. US-Präsident Donald Trump hatte diesen im Februar vergangenen Jahres in einem Abkommen mit den Taliban besiegelt, um den längsten Kriegseinsatz der USA zu beenden.
Abzug bis 9/11
Nachfolger Joe Biden hat es sich zum Ziel gesetzt, bis zum symbolträchtigen Datum 11. September 2021 alle GIs (und auch alle anderen NATO-Kräfte) nach Hause zu bringen. An diesem Tag begehen die USA den 20. Jahrestag der 9/11-Terroranschläge mit mehr als 3.000 Toten, als deren direkte Folge im Oktober 2001 der Angriff auf die Taliban in Afghanistan begann, weil diese dem Terrorpaten Osama bin Laden Unterschlupf gewährten.
Doch angesichts der militärischen Erfolge der „Gotteskrieger“ erwägen die USA laut Pentagon-Sprecher John Kirby den Abzug zu verlangsamen. Am Enddatum wolle man aber festhalten.
Der letzte Österreicher, der im Rahmen der „NATO-Partnerschaft für den Frieden“ teilnahm, ist bereits zurück in der Heimat. Seit 2002 dienten Hunderte Österreicher als Ausbildner für die nationalen Streitkräfte am Hindukusch. Der Großteil war im Camp der deutschen Bundeswehr in Mazar-i-Sharif im Norden stationiert.
Und selbst bis dorthin haben sich die Taliban (übersetzt Schüler) schon durchgekämpft. Das ist insofern alarmierend, weil die traditionellen Hochburgen der Miliz im paschtunischen Süden liegen. Dass die (Koran-)„Schüler“ jetzt auch im Norden aktiv sind, beunruhigt die benachbarten Tadschiken, die Flüchtlingsströme befürchten. Nachdem die Taliban eine Grenzposten zu Tadschikistan eingenommen hatten, kamen die ersten auch schon: afghanische Soldaten.
Bis zu 70 Prozent erobert
Laut Schätzungen kontrollieren die Taliban zwischen 50 und 70 Prozent des afghanischen Territoriums – Tendenz von Tag zu Tag steigend. Allerdings sind sie zunächst bloß in ländlichen Gegenden der dominante Faktor, die weniger stark besiedelt sind. Die größeren Provinz-Hauptstädte liegen ebenso wie Kabul in den Händen der Regierungseinheiten. Insofern dürfte die Mehrheit der Afghanen nach wie vor nicht unter dem Joch der Islamisten leiden – noch.
Diese hatten Ende des 20. Jahrhunderts ein Schreckensregime mit rigiden Regeln (etwa öffentliche Steinigungen für Ehebrecherinnen) installiert – und jetzt angekündigt, ein „echtes islamisches System“ errichten zu wollen.
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