Die graue Stadt in der Normandie, die im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört worden war, wurde nach den Plänen von Architekt Auguste Perret in einzigartiger, aber auch eintöniger Weise mit Beton wiederaufgebaut. Le Havre wurde entweder als hässlich oder als schön empfunden, sowohl von Außenstehenden als auch von den Einheimischen selbst, erzählt Rodolphe Derrey. Er hat Zeit seines Lebens in der Stadt am Ärmelkanal gelebt. Rodolphe ist Mitte zwanzig, hat Geschichte studiert und arbeitet in einer Schule. Viel sei hier geschehen in den letzten Jahren, meint er.
Damit spricht er nicht nur an, dass Le Havre im Jahr 2005 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Wenn man durch die Straßen schlendert, hat man das Gefühl, in einer jungen, aufstrebenden und vitalen Stadt gelandet zu sein. Man entdeckt kleinere und größere Kunstwerke und Installationen, sieht viele junge Menschen auf ihren Skateboards, Familien und Paare im Außenbereich (Corona!) von Restaurants oder – im Sommer – am Weg zum Strand. Bis vor einigen Jahren war das Bild noch ein gänzlich anderes.
Viele dieser Veränderungen fallen in die Amtszeit von "jetzt wieder" Bürgermeister Edouard Philippe. "Doudou", wie Frankreichs ehemaliger Premierminister hier genannt wird, ist in Le Havre in der Region Seine-Maritime politisch groß geworden. Philippe gelangte im Jahr 2001 über den langjährigen Bürgermeister von Le Havre, Antoine Rufenacht, in die Politik und wurde prompt sein Stellvertreter, bevor er im Jahr 2010 die Nachfolge als Bürgermeister der Hafenstadt antrat. Bis Emmanuel Macron ihn 2017 in die Regierung holte, machte sich der bürgerlich-rechte Politiker in Le Havre bereits einen Namen.
"Le Havre galt lange als gescheitert", sagt Rodolphe. Wenig Arbeit und eine Stadt, die nicht als "schön" gilt – viele wollten einfach weg. Rufenacht und sein Nachfolger Philippe hätten viel für die Stadt getan, sie weiterentwickelt und modernisiert. Und am Wichtigsten: der Stadt und den Einwohnern eine Identität gegeben. Havrais, wie die lokale Bevölkerung genannt wird, hätten dadurch Stolz für ihre Heimatstadt entwickelt. Es entstanden touristische Shops, aber nicht, wie man meinen könnte, für Touristen. "Als der Shop mit "Le Havre"-Shirts eröffnet hat, haben vor allem Einheimische Merchandise gekauft", sagt Rodolphe. Und tatsächlich sieht man auf den Straßen, in Einkaufszentren und Supermärkten sowohl alte als auch junge Menschen mit T-Shirts, Kappen oder Jacken mit dem Kürzel "LH".
Mittlerweile hat die Stadt so sehr an Attraktivität gewonnen, dass Pariser gerne in die Stadt an der Seine-Mündung ziehen. So wie die Betreiberin der Boutique "Lovely Happiness", die aus der Hauptstadt kommt und sich entschied, in Le Havre zu investieren. Hier sei etwas "im Aufbruch".
Ausgerechnet im Sommer 2017, als Macron Edouard Philippe zum Premierminister ernannte, setzte sich der Bürgermeister mit einem kulturellen Groß-Event gewissermaßen selbst ein Denkmal. "Ein Sommer in Le Havre" zum 500-jährigen Bestehen sollte die 170.000 Einwohner zählende Stadt mit zahlreichen Kunst-Installationen begeistern. Viele der Kunstwerke blieben – und es kamen neue dazu, denn das Kulturevent wird seitdem jährlich wiederholt. Auch der österreichische Künstler Erwin Wurm war 2019 mit seinen "geschwollenen" Objekten dort vertreten.
Die Kommunalwahlen im Juli waren dann ein weiterer Karriereschritt für Philippe. So musste Macron mit seiner Partei herbe Verluste einfahren. Außer in Le Havre, wo Edouard Philippe erneut antrat. Trotz hoher Beliebtheitswerte war sein Sieg in der Hafenstadt keine sichere Sache. Aber in der Stichwahl setzte er sich gegen den kommunistischen Kandidaten – Le Havre hat eine lange Verbindung zu den Kommunisten – durch.
Nun rechnet man allerdings damit, dass Philippe nicht lange Bürgermeister in Le Havre bleiben wird. Sondern dass er bei den Präsidentschaftswahlen 2022 die bürgerliche Partei "Les Republicains" wiederbeleben und als Spitzenkandidat anführen könnte. Wenn er es in den Elysée-Palast schaffen sollte, wird Philippe nicht mehr daran denken, wer diese Woche an seine Türen klopfte.
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