Die Finnen gehen kritisch, aber geeint in die NATO
Angesichts des Ukraine-Krieges ist eine Mehrheit für den Beitritt zu dem Verteidigungsbündnis. Dieses soll Sicherheit bieten im Schatten des großen Nachbarn Russland.
Verschlafen wirken viele Passanten dieser Tage in den Straßen von Tampere. Die Nächte sind kurz und der Durst ist groß.
Es ist Eishockey-Weltmeisterschaft in Finnland, und es scheint nur ein Thema zu geben: Ob Suomi nach Olympia auch bei der WM Gold holt (siehe Seite 17).
Über Politik und die Stimmung im Land mit der 1.300 Kilometer langen Grenze zu Russland wird ungern gesprochen. Zumindest öffentlich. „Natürlich habe ich eine Meinung zum NATO-Betritt“, sagt Mikael, ein Student in Tampere, der mit 241.000 Einwohnern drittgrößten Stadt des Landes. „Uns bleibt nichts anderes übrig. Wir sehen ja auch die Bilder aus der Ukraine.“ Und seit Samstag auch den Gaslieferstopp aus Russland.
Es ist eine leicht melancholische Stimmung bei den Finnen zu vernehmen. Volkslieder sollen ähnlich traurig wie Wienerlieder sein.
Zu spüren ist auch, dass die ältere Generation etwas anders über die aktuelle Lage zwischen dem Nachbarn Russland und dem Sicherheitsschirm der NATO denkt. Auch Alpo Suhonen, 73, der von 2013 bis 2017 für den österreichischen Eishockeyverband gearbeitet hat und jetzt in seiner Heimat an einem Buch werkt, geht es so. Ob es Angst in der Bevölkerung wegen des NATO-Beitritts gebe? „Ja, ja. Meine persönliche Meinung ist, dass der Beitritt ein wenig gefährlich ist.“
Aber die Stimmung im Land habe sich seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar drastisch geändert. Suhonen erinnert sich: „Früher waren laut Umfragen 35 bis 40 Prozent für einen NATO-Beitritt. Diese Woche waren es 76 Prozent.“
Die Wende
Diesen Wandel spürt auch die Österreicherin Daniela Sulz, die seit neun Jahren in Finnland lebt und als Kindergärtnerin in Helsinki arbeitet. „Mein Freundeskreis ist hauptsächlich finnisch. Die NATO war hier nie Thema. Aber man spürt, dass es notwendig ist. Auch, wenn es nicht gewollt war.“ Russland sei einfach ein unberechenbarer Nachbar.
Das bekam die Bevölkerung immer wieder zu spüren, wenn russische Kampfjets den finnischen Luftraum verletzten. Danach sprachen russische Offizielle immer von einem Versehen.
Dass die Boulevard-Zeitung Iltalehti kürzlich schrieb, Russland werde Finnland angreifen, ordnet Daniela Sulz den Fake News „aus der russischen Ecke“ zu. „Die finnische Yellow-Press nützt das aus und macht damit Reichweite. Man kann gut mit dieser Unsicherheit arbeiten. In Qualitätsmedien gibt es solche Meldungen nicht.“
Die seriöse Information zum Beispiel im TV-Talk „A-studio“ lobt Ewald Kibler, Associate Professor an der Aalto University Business School in Helsinki. Der 40-jährige Salzburger lebt seit 2010 in Finnland, ist mit einer Finnin verheiratet und schätzt es, wie mit Krisen umgegangen wird.
„Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin haben wirklich gute Arbeit geleistet. Sauli Niinistö hat Putin direkt angerufen und ihn über den NATO-Beitrittsantrag informiert. Das hat Eindruck gemacht. Es zeigt, dass die Finnen für eine klare und ehrliche Kommunikation stehen.“
Diese Fähigkeit habe die politische Führung schon in der Corona-Krise ausgezeichnet. „Sie haben es geschafft, dass sich die Gesellschaft nicht gegeneinander aufheizt. Es fasziniert mich, welch starkes Gemeinschaftsgefühl Finnland hat, auch wenn es Differenzen gibt.“ Man vertraut der Politik und auch darauf, dass mit dem Beitritt noch mehr Sicherheit gewährleistet ist. „Dadurch ist der Finne zufrieden und weiß, dass nicht mehr gemacht werden konnte.“
Kibler betont auch, dass die Finnen nicht unvorbereitet auf die NATO sind. „Man hat seit 1945 immer viel investiert für den Fall der Fälle. Wenn andere Länder militärische Ausrüstung verkauft haben, hat Finnland immer gekauft.“
Finnland hat auch in den Zivilschutz investiert wie kaum ein anderes Land. „Alleine in Helsinki gibt es für 900.000 Menschen Platz in Luftschutzbunkern. Bei jedem größeren Bauprojekt werden neue Bunker gebaut“, erklärt Kibler. Es gibt unterirdische Eishallen, Schwimmbäder sowie Infrastruktur zur Versorgung der Bevölkerung.
"Schwer, damit umzugehen"
In seiner Familie spüre Ewald Kibler auch Verunsicherung. „Man merkt, dass die ältere Generation beunruhigt ist, weil da Erinnerungen wach werden. Da ist der Bezug zum Zweiten Weltkrieg noch stärker da.“
Traurig ist die Stimmung laut Kibler, wenn mit seinen russischen Kollegen über den Ukraine-Krieg gesprochen werde. „Sie sind alle zu hundert Prozent dagegen. Es ist schwer, damit umzugehen.“
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