Wer hat Vorrang beim Gas: Haushalte oder Industrie?
Dass in den kommenden Monaten eine sogenannte „Gasmangellage“ eintreten wird, daran zweifelt eigentlich niemand. Die Frage ist nur: Wer muss dann als erster auf das Gas verzichten?
Seit Robert Habeck in Wien sagte, dass auch die Privaten „ihren Anteil leisten“ müssten, wird in Deutschland heftig darüber diskutiert. Er hat die EU-weite Regelung – laut der Haushalte und kritische Infrastruktur Vorrang hätten, und zuerst die Industrie heruntergefahren würde – hinterfragt und argumentiert, dass der Notfallplan nur für kurzfristige Krisen vorgesehen sei. Bliebe das Gas jedoch monatelang aus und könne die Industrie über lange Perioden nicht produzieren, gäbe es ein massives Versorgungsproblem – dann könnte man zwar zu Hause im Warmen sitzen, hätte aber keine Säuglingsnahrung, weil der Chemieriese BASF stillsteht.
Aus der deutschen Industrie, die ja Grundprodukte für ganz Europa produziert, kommen daher schon länger Forderungen nach einer Änderung der Priorisierung. Vor allem die chemische Industrie hat Sorge vor einem Totalzusammenbruch, denn für 90 Prozent aller Produktionsprozesse werden ihre Produkte als Basis benötigt.
Damit haben nicht alle Freude. Verbrauchervertreter gaben sich empört, und auch von Habecks Koalitionspartner, der SPD, kam tags darauf gleich ein „Nein“ zu seinem Vorstoß. Parteichefin Saskia Esken etwa sagte, an dem Vorrecht für Privathaushalte und systemrelevante Einrichtungen wie etwa Krankenhäusern und Schulen dürfe nicht gerüttelt werden.
"Niemand soll frieren"
Das hatte bei ihrem Co-Parteichef Lars Klingbeil vor zwei Wochen noch ganz anders geklungen: Er sagte da noch, dass „wir auch im privaten Bereich sparen müssen“ und das Ziel sein müsse, das Gas für die Industrie nicht zu rationieren.
Daran zeigt sich, wie emotional die Rationierungsdebatte ist. Nach zwei Jahren Pandemie will derzeit kein Politiker verantworten, Schüler wieder in den Heimunterricht zu schicken, weil die Schulgebäude zu kalt sind.
Dementsprechend verhalten gab man sich tags darauf in Habecks Ministerium. „Niemand soll frieren“, stellte man klar. Er habe den Schutz der privaten Verbraucher nicht infrage stellen wollen, auch eine Änderung des Notfallplans sei nicht angedacht.
Was man aber plane, seien Standards zum Energiesparen. Das heißt, dass man Bürger zum Energiesparen verpflichten will: Über das erneuerte Energiesicherungsgesetz kann die Regierung nämlich etwa Temperaturvorgaben beim Heizen absenken oder Firmen verpflichten, Mitarbeiter ins Home Office zu schicken – ins Warme also.
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