Schlechte Noten für „GroKo“

Sigmar Gabriel, Angela Merkel, Horst Seehofer
Merkels Große Koalition bekommt mehr Kritik von allen Seiten als frühere.

Selten wurde ein Koalitionsvertrag so früh und so heftig kritisiert wie der von CDU, CSU und SPD am Mittwoch unterschriebene. Von außerhalb der neuen deutschen Koalition war das erwartbar, nicht aber in dieser Heftigkeit von innerhalb der Parteien. Deren bisher verfeindete Flügel sehen die vielen Kompromisse, die den 185-Seiten-Vertrag prägen, als viel zu weitgehend: Der Wirtschaftsflügel der CDU gleichermaßen wie der linke Flügel der SPD.

Wobei Letzterer nach überwiegender Meinung der Presse und Öffentlichkeit viel weniger Grund zur Klage hätte: Die erklärten SPD-Chef Sigmar Gabriel zum klaren Sieger der Koalitionsverhandlungen, obwohl er die Wahl eindeutig verloren hatte. „Wahl verloren, GroKo gewonnen“ betitelte die liberale Welt ein Riesenfoto Gabriels auf Seite eins.

Diese Sicht will der linke Flügel der SPD nicht teilen. Der neue Sprecher der „Parlamentarischen Linken“, Ernst Dieter Rossmann, beharrte, dass die geplanten Mehrausgaben von 23 Milliarden Euro 2014 sich „nicht ohne neue Steuern finanzieren lassen“. Diesen Bruch des Wahlversprechens der Union hätte die SPD-Parteiführung klarer machen müssen, so Rossmann, „auch wenn mehr mit ihr momentan nicht geht“. „Gerechte Steuererhöhungen“ blieben Thema der SPD, drohte er dem neuen Koalitionspartner mit der nächsten Kampagne.

„Zukunftsgefährdend“

Die Mehrausgaben und deren Finanzierung sind auch Hauptkritikpunkt in der Union. Alle führenden Funktionäre ihres inzwischen politisch ziemlich unbedeutenden Wirtschaftsflügels kritisierten wie die unabhängigen Wirtschaftsverbände vor allem die neuen Sozialausgaben. Die weitgehende Rücknahme der „Rente mit 67“ auf die „Rente mit 63“ auf Druck der SPD gefährde die Zukunft des Landes. Die Junge Union protestierte gegen „neue soziale Wohltaten auf Kosten der nächsten Generation.“

Diese Kritik kam auch vom „Weisenrat“: Die von der alten Regierung als ihre Chefberater bestellten, unabhängigen Wirtschaftsprofessoren halten das für 2014 erwartete Plus der Steuereinnahmen von 23 Mrd. Euro für „nur temporär“. Bald müssten Steuern und Sozialbeiträge erhöht werden, prophezeiten sie.

Der alte und wohl auch neue Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) widersprach dem: Er sieht keinen baldigen Korrekturbedarf. Seine Beamten hatten ihm intern sogar noch optimistischere Schätzungen verheimlicht, um damit nicht die Gier der SPD- und Unions-Sozialpolitiker nach noch mehr Sozialleistungen zu wecken.

„Operation Stillstand“

Auch die Presse zeigt sich vom Koalitionsvertrag enttäuscht: „Operation Stillstand“ titelte das Handelsblatt, das wie alle großen Zeitungen neue Impulse und Ideen vermisst. Die Welt warf Kanzlerin Merkel vor, sich auf Druck der SPD von der Reformpolitik verabschiedet zu haben und „kein Vorbild mehr für Europa“ zu sein. Auch linksliberale Blätter wie die Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel kritisierten „Wahlgeschenke auf Kosten künftiger Regierungen“.

Die weitgehende Durchsetzung der SPD-Forderungen lässt aber auch manche linke Funktionäre von ihrer Koalitionskritik abrücken: So will nun der Berliner SPD-Landeschef Jan Stöß doch für das Ja der Genossen beim Mitgliederentscheid eintreten. Deren Misstrauen wird allerdings durch die Geheimhaltung der Ressortverteilung und Ministerliste gefördert: Der SPD-Mittelbau fürchtet, dass Gabriel damit nur seinen Verzicht auf das wichtigste Ressort, das Finanzministerium, kaschieren will.

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