Warum der Rechtsextremismus in Sachsen besonders verbreitet ist

Warum der Rechtsextremismus in Sachsen besonders verbreitet ist
Neonazis und Hooligans zogen am Sonntag durch Chemnitz, randalierten und machten Jagd auf Migranten.

Attacken auf Flüchtlingsheime, Männer, die Hunde auf Migranten hetzen – wenn solche Schlagzeilen aus Sachsen kommen, überrascht das wenig. Dass sich am Sonntag aber binnen Stunden mehr als 800 Menschen beim Chemnitzer Stadtfest einfanden, dort randalierten, Migranten jagten und beschimpften, wie Videos zeigen, ließ die Polizei aufschrecken. Zudem skandierten einige den Spruch der islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung („Wir sind das Volk“). Das Fest musste abgebrochen werden, die Stadt glich einer Kampfzone, berichteten Augenzeugen.

Hintergrund: In der Nacht auf Sonntag war es zu einer Messerstecherei gekommen, bei der ein 35-Jähriger starb. Noch bevor die Polizei aufklären konnte (mittlerweile wurden zwei Tatverdächtige festgenommen), machten im Netz Gerüchte die Runde, über die Belästigung einer Frau und ein zweites Todesopfer, was die Polizei strikt zurückwies. Doch da war es bereits zu spät, die Hetze lief auf allen Kanälen: der Tote war nur mehr "Deutscher", die Täter auf ihre Herkunft reduziert - die AfD-Chemnitz rief zur Demo auf, ebenso rechte Hooligan-Gruppen.

150 bis 200 Menschen gehören in Chemnitz laut Verfassungsschutz der rechtsextremen Szene an. Vor etwa einem Jahr versuchte sie sogar einen Stadtteil zu besetzen, es gab zudem einen Sprengstoffanschlag auf ein alternatives Kulturzentrum, wo ein Stück zur Aufarbeitung der NSU-Morde aufgeführt wurde. Das Büro einer Linken-Politikerin wurde ebenfalls Ziel von Attacken. Zuletzt marschierten Neonazis am 1. Mai durch die Stadt. Trotz zahlreicher zivilgesellschaftlicher Initiativen bzw. Arbeit durch den Verfassungsschutz fühlen sich Rechtsextreme nicht nur dort, auch anderswo in Sachsen offenbar wohl – und das seit Jahrzehnten. Doch wie entstand dieser politische Nährboden eigentlich?

Unterschätzte Szene

Die Szene wurde in der Vergangenheit stark unterschätzt, erklärt Hans Vorländer, Politikwissenschaftler und Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden, im Gespräch mit dem KURIER. Er erinnert an das Zitat des ehemaligen Landeschefs Kurt Biedenkopf (CDU), wonach Sachsen immun gegen Rechtsextremismus sei. „Eine völlige Fehleinschätzung“. Das Grundproblem bestand schon in der Endphase der DDR, erklärt der Politologe. „Skinhead-Bewegungen im Umfeld von Fußball-Vereinen, die lange unterdrückt wurden, beachtete man nicht mehr. Doch durch das Vakuum an Autorität, den Zusammenbruch der alten Ordnung ist eine Leere eingetreten – genau da sind sie hineingestoßen.“

Besonders erfolgreich waren sie in Ostsachsen, an der Grenze zu Polen und Tschechien: „Es gab wenig Arbeitsplätze, kaum Zivilgesellschaft und keine demokratischen Parteien, die vor Ort gearbeitet haben.“ Dort ging auch die NPD hinein, baute eine Struktur auf, sprach vor allem junge Männer an, die keine sonstigen Vereine hatten. 2004 schaffte es die Partei in den Landtag, 2014 flog sie raus – bis auf ein paar harte Mitglieder verlief der Übergang zur AfD fließend, so Vorländer.

Die Rechtspopulisten sitzen der sächsischen Regierung dicht im Nacken, bei der Landtagswahl 2019 könnten sie stimmenstärkste Partei werden. Der amtierende Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der die Randale nach anfänglichem Zögern verurteilte, („Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen.“) setzt auf einen Balanceakt mit den Rechten. Viel Kritik erntete er, als er das Vorgehen der Polizei bei einer Pegida-Demonstration in Dresden verteidigte: Beamte hielten ein ZDF-Kamerateam fest, zuvor wurde es von einem Demonstranten, der zudem LKA-Beamter war, angepöbelt.

Zwar entschuldigte sich Sachsens Polizeichef später, doch beim Schutz der Pressefreiheit ortet Experte Hans Vorländer noch Aufholbedarf. Ebenso bei politischer Bildung und Aufklärung: Das müsse in den Fußballvereinen passieren, in Zusammenarbeit mit Fanbetreuern und Sozialarbeitern, aber auch in Schulen – „etwa mit Demokratieerziehung.“

Kommentare