Deutschland und Österreich: Freunde, aber nicht immer auf einer Linie

Kanzler Merz trifft Österreichs Kanzler Stocker
Sie sind ziemlich beste Partner, aber hin und wieder pfeift das kleine Österreich auf das große Deutschland und bestimmt seinen Kurs selbst. Warum das zuletzt öfter geschah.

"Wenn Deutschland niest, bekommt Österreich eine Grippe", heißt es manchmal, wenn über die engen wirtschaftlichen Verflechtungen der zwei Nachbarländer gesprochen wird. Zwar zeigen deren Regierungen sich gerne zusammen und sind stets darum bemüht, sich als geeinte Partner auf Augenhöhe zu präsentieren. Letztlich ist die Beziehung aufgrund des unterschiedlichen Größen- und Machtverhältnisses aber zutiefst asymmetrisch.

Für Österreich gibt es seit jeher und mit großem Abstand keinen so wichtigen Handelspartner wie Deutschland. Umgekehrt kann Österreich natürlich nicht mit den Riesen China und USA mithalten, dann sind da noch Frankreich, die Niederlande, Polen, Italien. Das ist einer der Gründe, warum Wien und Berlin in der EU stets auch als politisch enge Verbündete wahrgenommen werden – denn was für Deutschland gut ist, ist meist auch für Österreich gut. Zumindest war das lange so.

In den vergangenen 15 Jahren hätten österreichische Regierungen aber ungewöhnlich unabhängig von Deutschland agiert, sagen die Politikwissenschafter Sebastian Heidebrecht und Magnus Schoeller von der Universität Wien. 

KURIER: In einem Ihrer Artikel beschreiben Sie die Beziehung zwischen Österreich und Deutschland als „speziell“. Was meinen Sie damit? 

Heidebrecht: Einerseits gibt es viele Gemeinsamkeiten, einige sind sehr offensichtlich. Die Sprache etwa, die uns, wie wir Österreicher gerne sagen, verbindet und gleichzeitig trennt. Darüber hinaus besteht ein gemeinsamer Kulturraum, eine sich überlappende mediale Öffentlichkeit.

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Sebastian Heidebrecht, Politologe, Uni Wien

Eine gemeinsame Geschichte. Und eine sehr enge Verzahnung der einander, mal von der Größe abgesehen, recht ähnlichen Volkswirtschaften. Viele österreichische Unternehmen sind Zulieferer für deutsche Produktionsstandorte. Das hat den Effekt, dass man sich in der Wirtschafts- und Währungsunion oft in ähnlichen „Lagern“ wiederfindet. 

Was aber zuletzt nicht immer der Fall war, oder?

Schoeller: Das bezieht sich nicht auf die gesamte Beziehung zwischen Österreich und Deutschland. Aber wir haben in der jüngeren Geschichte mehrere Phasen feststellen können, in denen Österreich sich in der Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) klar gegen Deutschland positioniert hat.

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Magnus Schoeller, Politologe, Uni Wien

Begonnen hat es mit der Eurokrise. Zwar ist Deutschland für fiskalische Zurückhaltung eingetreten und das schon damals „frugale“ Österreich und andere kleinere Länder haben sich dahinter versammelt. Später, als Reaktion auf die Krise, ist man aber die Bankenunion angegangen und hat über eine Art gemeinsame Versicherung für Bankkonten in der EU diskutiert. Da war Deutschland ganz stark dagegen, Österreich konnte sich das durchaus vorstellen – weil die beiden Bankensysteme ganz anders funktionieren und österreichische Banken in Mittel- und Südosteuropa viel stärker exponiert waren. 

Und dann ging es weiter mit den Krisen. 

Heidebrecht: Genau, auch während der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015, als die damalige Kanzlerin Angela Merkel eine sehr offene Migrationspolitik fuhr, unterschieden sich die Positionen Deutschlands und Österreichs stark. Danach kam die Covid-Pandemie, während der Österreich unter Sebastian Kurz ja zusammen mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark als „Frugale Vier“ mehr Haushaltsdisziplin im Wiederaufbaufonds einforderte – und damit klar gegen die deutsche Position auftrat, die sich unter Olaf Scholz, damals noch Finanzminister, deutlich aufgeweicht hatte.

Schoeller: Die theoretische Erwartung bei Deutschland und Österreich wäre eigentlich: Die haben so viel gemeinsam, die ziehen in schwierigen Zeiten am gleichen Strang. Aber gerade das war nicht der Fall. Zum Corona-Wiederaufbaufonds: Was kann ein Staat wie Österreich tun, wenn Deutschland eine Kehrtwende einlegt und plötzlich nicht mehr gegen eine gemeinsame Verschuldung ist? Die eigene Stimme amplifizieren und sich mit anderen zusammentun, die das ebenfalls negativ überrascht hat – eine der effektivsten Strategien kleinerer Länder in der EU. 

Ein großer Unterschied zwischen Österreich und Deutschland ist auch das Ausmaß an Euroskeptizismus, in Österreich traditionell um einiges ausgeprägter als in Deutschland. Warum? 

Schoeller: Die Rolle der großen, euroskeptischen „Herausfordererpartei“ ist in Österreich mit der FPÖ eine ganz andere als jene in Deutschland mit der AfD, die ja erst seit der Eurokrise eine Rolle spielt. Die schon lange etablierte FPÖ ist für Regierungsparteien schwerer zu ignorieren, auch wenn die aktuelle deutsche Regierung, als die erste, nun auch inhaltlich auf die Argumente der AfD eingeht.

Heidebrecht: Man hat auch im Zuge der letzten EU-Wahl in Österreich gesehen, dass sich bei uns viele Parteien, außer den Grünen und den Neos, leicht bis stark euroskeptisch positioniert haben – deutlich mehr als die deutschen. Im EU-Gründungsmitglied Deutschland gibt es, insbesondere in Westdeutschland, eine längere Tradition an europäischer Politik. Für das Verhältnis Brüssel-Wien einschneidend war natürlich auch die Phase der ersten ÖVP/FPÖ-Regierung, als die „drei Weisen“ (eine Expertenkommission, Anm.) nach Österreich geschickt wurden, um die Einhaltung des Rechtsstaats zu überprüfen – das war Anfang der 2000er, also schon relativ kurz nach dem EU-Beitritt. Warum der Skeptizismus in Österreich tatsächlich so hoch ist, kann ich schwer sagen. Schließlich sind sowohl Österreich als auch Deutschland sehr stark in den europäischen Binnenmarkt eingebunden, Österreich sogar noch mehr, und beide profitieren enorm davon.

Ihre Analyse zu selbstständigeren Entscheidungen Österreichs in der EU hört mit Sebastian Kurz auf. Wie verhält sich denn die Regierung Stocker gegenüber dem Nachbarn, der ja mit Friedrich Merz auch einen neuen Kanzler hat? 

Heidebrecht: Ich beobachte in Deutschland post-Covid eine Rückbesinnung auf traditionelle politische Präferenzen. Was u. a. Scholz als den „Hamilton“-Moment Europas (in Bezug auf die gemeinsame Verschuldung, Anm.) beschrieben hat, wird in deutschen Institutionen und der Bundesregierung im Nachhinein überwiegend als übertrieben betrachtet. Jetzt wird betont, dass der Wiederaufbaufonds nur temporär ist, er aus dem EU-Haushalt refinanziert wird, nicht wiederholt werden soll. Insofern ist die Divergenz zwischen österreichischen und deutschen Positionen wieder kleiner geworden. Gleichzeitig ist heute aber sowieso alles anders, weil mit dem Krieg in der Ukraine so viel in Bewegung gekommen ist und die Art und Weise, wie in der EU Wirtschaftspolitik gemacht wird, sich fundamental geändert hat.

Schoeller: Grosso modo sind Österreich und Deutschland wieder auf einer Linie. Aber wir müssen zwischen äußeren und inneren Einflüssen differenzieren, und den jeweiligen Politikfeldern. Der geopolitische Wandel – das „Ende des Multilateralismus“, mehr Konkurrenz mit den USA, die Macht Chinas – ist ein Druck von außen, der zu einer Konvergenz von Präferenzen innerhalb der EU führen könnte. Innenpolitisch haben wir in Österreich und Deutschland zwei konservative Kanzler, beide koalieren mit den Sozialdemokraten. Würde in Österreich die FPÖ regieren, wäre man sicher weiter auseinander. 

Und wenn wir über das Feld Wirtschafts- und Fiskalpolitik reden, da stehen die Budgetverhandlungen über den nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen an. Es zeichnet sich bereits ab, dass Österreich und Deutschland, beide Nettozahler, hier wieder in derselben Gruppe – jene der  fiskalisch zurückhaltenden Länder – auftreten werden, zusammen mit Schweden, Dänemark, den Niederlanden, Finnland und Irland.

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