Die FDP ist wieder da: Das liberale Wunder

"Ein ganz neues FDP-Gefühl" verspricht Lindner.
Die totgesagte FDP ist wieder auferstanden: Wie sich Parteichef Christian Lindner inszeniert – und zum Kanzlermacher wird.

Wow, das knallt. "Denken wir neu!", sagt der blonde Mann auf der Bühne in der Potsdamer Schinkelhalle, er ballt die Hand zur Faust. Auf der Leinwand ein Schwarz-weiß-Video, das hauptsächlich ihn selbst zeigt; "Digitalisierung! Bildung! Freiheit!", so die Botschaft. Er hat kein Manuskript, keine Krawatte, aber enorm viel Elan: "Jaaa!", ruft ihm ein Mann im Publikum zu, sein kleiner Sohn hantiert mit einem FDP-Banner. Eine Dame mit Hut daneben klatscht begeistert.

Auf der Bühne, da steht kein Start-up-Gründer, sondern der Chef einer der ältesten Parteien Deutschlands: Christian Lindner, 38, FDP-Vorsitzender und damit politischer Nachlasseverwalter Genschers und Westerwelles. Er hat die Partei vor vier Jahren übernommen, als sie am Boden lag; die stolzen Königsmacher von einst waren da an Angela Merkel zerschellt und aus dem Bundestag geflogen. "Unfreiwilligen Bildungsurlaub", nennt die Partei das heute selbstironisch. Es wird gelacht, denn jetzt darf man das: Die Umfragen sehen die FDP wieder bei zehn Prozent – und sogar eine Koalition ist greifbar.

Alles in Knallfarben

Wie das möglich war? Mit dem "ganz neuen FDP-Gefühl", wie Lindner sagt. Was er damit meint, sieht man optisch: Das altvat’risch Partei-Gelb, das auch Genschers Pullunder zierte, wurde durch Türkis und Magenta ergänzt, und er selbst, von Medien zum Posterboy der FDP gekürt, hat sich ein "Update" verpasst: Sein schütteres Haar hat er per Transplantation aufgefüllt, die Dioptrien weglasern lassen.

Dazu kommt der neue Klang der Freidemokraten: Keine Rede ist da mehr von Steuersenkungen, die man in der Koalition mit Merkel versprach und nicht halten konnte, dafür gibt es viel Internet, Bildung und Selbstdarstellung. "Blaues Wachstum" wird statt Recycling gesagt; Bürokratieabbau durch "Once-Only-Prinzip" und "One-in-two-out-Methode" ersetzt. Dazu die Kampagne, die wie aus einer Start-up-Schmiede wirkt: Lindner in schwarz-weiß, stets mit Smartphone und Kopfhörern, vielbeschäftigt und umtriebig. "Digital first, Bedenken second", steht darunter.

Die FDP ist wieder da: Das liberale Wunder
A campaign poster featuring leader of the Free Democrats (FDP) and main candidate in upcoming parliamentary elections Christian Lindner hangs outside the FDP headquarters in Berlin on September 11, 2017. / AFP PHOTO / John MACDOUGALL
Dass das in einem Land ankommt, wo Silicon Valley Sehnsuchtsort ist, wo es aber in vielen Landstrichen nicht mal Handyempfang gibt, wundert wenig. Und dass das besser zieht als die ewig gleiche Predigt vom freien Markt, weiß Lindner natürlich auch. Finanzwelt? Wirtschaft? Steuern? Kommt in seiner Rede kaum vor. Wirft man einen Blick ins Parteiprogramm, wird aber klar, warum im Publikum neben Smartphone-Jüngern viele stehen, die nach Eigenheim, SUV und Yacht aussehen: Die FDP ist und bleibt die Partei der Besserverdiener, im Kern ist man neoliberal. Nicht umsonst fürchten manche Beobachter, dass mit der FDP in der Regierung die Euro-Schuldenkrise zurückkehren könnte.

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Schreckgespenst

Das klingt genau nach dem Schreckgespenst, das 2013 keiner mehr wollte. Warum dann das Umfragehoch? Weil Lindner nicht nur rhetorisch brillant ist, sondern auch das politische Tarnen-und-Täuschen beherrscht: Er, der Vertreter einer immer als Elitenpartei geschimpften FDP, grenzt sich plötzlich von der "politisch-medialen Elite" ab; er verspricht, dass "der Krankenschwester und dem Polizisten" nicht noch mehr aufgebürdet werden wird. Das Ziel dabei? Die Mitte, der "kleine Mann" – und damit auch die AfD. Die konnte der FDP 2013 nämlich viele Wähler abspenstig machen, was auch erklärt, warum Lindner sich in puncto Flüchtlinge hart gibt: "Alle müssen wieder gehen", ließ er jüngst über die Bildzeitung wissen.

Selbstironie wirkt

"Diesmal werden wir die absolute Mehrheit verfehlen", sagt Lindner zum Abschluss, es wird gelacht. Es ist, wie immer bei ihm, eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie. Dass er Kanzlermacher wird, daran zweifelt kaum wer; dass er wieder krachend scheitern könnte, wie sein Vorgänger, dessen FDP irgendwann mal nur das inhaltsleere Anhängsel Merkels war, weiß er aber auch: "Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass wir keine Fehler machen. Aber nicht dieselben Fehler wie früher."

Liberalismus verlangt nach Eigeninitiative, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen – dieses Bewusstsein ist in Österreich schwächer ausgeprägt als etwa in Deutschland, erklärt Franz Fallend, Politikwissenschaftler an der Universität Salzburg. Er ortet dafür tiefer wurzelnde Gründe: "In unsere Kultur spielt der Staat eine wichtige und tragende Rolle – von Gesellschaft bis Wirtschaft. Es gibt einen hohen Anteil an Bürgerinnen und Bürgern, die sich erwarten, dass der Staat eingreift, etwa bei Missständen oder sozialer Ungleichheit."

Das entnimmt der Parteienforscher auch europaweiten Umfragen, worin sich die Menschen hierzulande in höherem Maße einen starken Staat wünschen, der Verantwortung trägt und ihnen Sicherheit gibt, als in anderen europäischen Staaten.

Globalisierungsangst

Skepsis herrscht vor allem gegen vieles, was den freien Wettbewerb am Markt und die freie Marktwirtschaft betrifft. Fallend: "Die Anti-Globalisierungshaltung ist in der österreichischen Bevölkerung stark vorhanden, vor allem die Sorge vor den negativen Auswüchsen." Umso energischer trat Österreich in der EU gegen internationale Freihandelsabkommen auf.

Dass sich liberales Gedankengut nie wirklich durchgesetzt hat, liegt auch an der Historie, meint der Politologe. Noch zu Monarchiezeiten hatte es der Liberalismus hierzulande schwer und fand sich eher im Deutschnationalismus wieder. Hingegen traten die Christlich-Sozialen wie die Sozialdemokraten für einen starken Staat ein, der den "kleinen Mann" bzw. Arbeiter schützen sollte. Auch später hielten die Großparteien am Modell des fürsorglichen Staates fest, auch um damit Wähler an sich zu binden – das Verlangen nach individueller Freiheit trat in den Hintergrund.

Das Wort liberal reklamierten in Österreich dennoch einige Parteien für sich. Sogar in der FPÖ gab es neben dem nationalen einen "liberalen Flügel", der sich 1993 abspaltete und aus dem das Liberale Forum (LIF) entstand. Auf der Agenda standen etwa, das Kreuz aus den Schulen zu entfernen oder die Ehe für Homosexuelle zu ermöglichen – "Ideen, die in Österreich umstritten und nicht mehrheitsfähig waren", erklärt Franz Fallend.

Das LIF zog zwar in den Nationalrat ein, verlor nach internen Querelen an Bedeutung und flog 1999 raus. Ein zweiter Anlauf 2008 blieb erfolglos. Erst 2013 sollte wieder die Stunde der Liberalen schlagen. Die Neos schafften es mit fünf Prozent in den Nationalrat – diesen "Sieg" gilt es demnächst zu verteidigen.

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