Pfiffe für Merkel: Augen zu und durch
Es gibt da diesen Moment, in dem sie kurz die Augen schließt und innehält. Von hinten dröhnen Pfiffe, von vorn kommt Applaus, und auf der Bühne passiert mal kurz gar nichts: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel steht stoisch da, wie immer.
Brandenburg an der Havel, 70.000 Einwohner, "tiefster Osten", wie Ron sagt, einer der vielen, die heute hergekommen sind, um ein bisschen "Merkel zu schauen". Er steht auf der guten Seite, aber das meint eigentlich nur, dass er einigermaßen gut hören kann, was da auf der Bühne gesprochen wird. Ein paar Meter weiter halten sich alle die Ohren zu, so laut sind die Pfiffe von denen, die nicht zum Merkel-Schauen gekommen sind.
Dagegenhalten
Warum sind sie dann da? "Um dagegenzuhalten", sagt ein junger Mann mit kurzen braunen Haaren. Fragt man, wen er wählen wird, sagt er: "Keinen von denen, die lügen alle. Aber am ehesten noch die Braunen". Passenderweise fährt da gerade ein NPD-Auto vorbei, "Heimat verteidigen" steht auf dem Wagen der Rechtsextremen.
"Wen kann man denn eigentlich wählen?", fragt die blonde junge Frau neben ihm, denn wahlberechtigt, ja, das sei sie, aber die Parteien kenne sie nicht. Dass Merkel da gerade von Bildungspolitik spricht und davon, dass Kinder oft schlauer seien als ihre Eltern, könnte ein gewitzter Regieeinfall sein; ebenso wie der Mann, der dazu "IM Erika" brüllt. Er will sagen: Merkel hat für die Stasi als "Informelle Mitarbeiterin" (IM) gewerkt – Deckname: Erika. Das mit der Erika kennt Merkel, sie hat noch nie etwas dazu gesagt. Vor allem im Osten, ihrer Heimat, ist nicht nur die Kritik an ihr gerne laut, sondern kommt auch oft im Gewand von Verschwörungstheorien daher. "Ethnozid an den Deutschen stoppen", steht auch auf einem der Schilder. Das Merkel muss weg-Mantra läuft sowieso in Dauerschleife.
"Die sind nicht von hier"
Wie das passieren konnte, diese Fast-Eskalation, das fragt hier niemand. Irgendwie war das zu erwarten: Dass der Wahlkampf ohne die Folgen des "Wir schaffen das" auskommen könnte, das hat in der CDU auch keiner geglaubt; vor allem nicht im Osten, wo die AfD stark, die NPD gut vernetzt ist. Auf der Bühne, im Publikum, überall herrscht darum eine seltsame Ruhe: Angela Merkel redet, redet und redet; und dass mitten in den Trillerpfeifenträgern Flüchtlinge mit Merkel-Schildern stehen, wirkt fast normal.
Man liebt und hasst sie
Dass damit die Fronten abgesteckt wären, kann man so aber nicht sagen. Natürlich, da gibt es Besher, 22, Maschinenbauer aus Syrien, der ein Merkel-Schild in der Hand hält und sagt: "Sie arbeitet für ihr Heimatland", das sei bewundernswert. Da gibt es Ron, den Flüchtlingshelfer, der Merkels Politik in Summe nicht super findet, aber ihre Flüchtlingspolitik, die sei schon klasse gewesen, damals 2015. "Man liebt sie, und man hasst sie", sagt er. Und dann gibt es noch Leute wie Jörg Riszling, mittleres Alter, braungebrannt, Radhelm auf dem Kopf, der weder da noch dort dazugehören will: Merkel und Schulz, die könne er beide nicht wählen, die Krakeeler da drüber aber auch nicht. "Demokratie ist das nicht", sagt er. "Aber es ist das Ergebnis der Politik von CDU und SPD", sagt er.
Was er meint? "Diese ewig gleichen Phrasen"; und wie auf Befehl setzt Merkel an und sagt, dass erst durch Arbeitsplätze Gerechtigkeit geschaffen werde. Ihr Anti-Schulz-Mantra quasi, und wer sie schon länger beobachtet, kennt es auswendig.
Dennoch, Wahlkampf ist die Zeit der Phrasen, das weiß auch sie. Sich wegen der Kritiker, der leisen wie der lauten, davon abbringen lassen? Nein. Das lässt sie in Berlin nicht zu und hier auf der Bühne auch nicht. Augen zu und durch, wird schon gut gehen: Merkel lächelt und macht das, was sie am besten kann: alles an sich abprallen lassen.
Erst am Schluss, kurz vor der Nationalhymne, hält sie inne, schluckt und sagt etwas in Richtung der Pfiffe. "Einigkeit und Recht und Freiheit – und Respekt vor der Vielfalt. Das sind wir Deutschen." Der Trupp quittiert das mit einem lauten Pfeifen. So laut, dass selbst die Nationalhymne darin untergeht.
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