Der Elefant im Raum
Schuld daran, heißt es bei vielen Genossen, sei nicht der regierende Ministerpräsident Dietmar Woidke, sondern Berlin, die streitende Ampel, der unbeliebte Kanzler. Woidke, der Brandeburg seit elf Jahren pragmatisch-hemdsärmelig regiert, würde in einer Direktwahl fast die Hälfte aller Stimmen abräumen; im Gesamtpaket mit der SPD hält ihn aber nur ein Viertel für wählbar. Der hat darum selbst öffentlich dankend auf gemeinsame Wahlkampfauftritte mit dem Kanzler verzichtet; seither wird gewitzelt, sein Slogan „Wer Woidke will, muss SPD wählen“ klinge wie eine Entschuldigung.
In Berlin wälzen sie daher die Notfallpläne. Seit den desaströsen Ergebnissen in Thüringen und Sachsen, wo die Kanzlerpartei mit sechs beziehungsweise sieben Prozent zur Randerscheinung degradiert wurde, steht bei der SPD die Frage nach dem Kanzlerwechsel im Raum; immer wieder fällt da der Name Boris Pistorius. Der Verteidigungsminister rangiert in der Beliebtheitsrankings konstant auf Platz eins, Scholz hingegen halten nur mehr neun Prozent für einen guten Kanzler.
Laut aussprechen will das bisher niemand. Das wird sich ändern, wenn die SPD am Sonntag verliert – für Scholz könnte das der Joe-Biden-Moment werden, schreiben nun viele. Auch deshalb, weil den Kanzler und den Präsidenten Sturheit und Beratungsresistenz eint: Nach den Wahlschlappen vor zweieinhalb Wochen sagte er noch unironisch, „kämpfen lohnt ja“ – schließlich war die SPD in Umfragen unter der Fünf-Prozent-Hürde gelegen.
Schwierige Neuwahlen
Zwingen kann Scholz allerdings niemand zum Rücktritt, das sieht das deutsche Recht nicht vor. Und auch Neuwahlen sind in Deutschland nicht so leicht vom Zaun zu brechen wie in Österreich: Scholz müsste dafür im Bundestag die Vertrauensfrage stellen; verliert er die, würde rund um Weihnachten neu gewählt. Aber auch dazu müsste man ihn wohl überreden, und das wäre selbst für Parteigranden wie PSD-Chef Lars Klingbeil ziemlich hürdenreich: Letzte Woche nannte der Kanzler dieses Szenario noch belustigt ein „kleines Oppositionsideechen“.
Tatsächlich wäre die SPD derzeit nicht gut beraten, in Neuwahlen zu ziehen. Auch im Bund liegt die AfD vor den Genossen, sie kommt auf 17 Prozent, die SPD auf 16. Wahlsieger wäre eindeutig Friedrich Merz’ CDU mit gut 35 Prozent. Das ist auch die interne Erklärung, warum Scholz derzeit auf Abwarten setzt – regulärer Wahltermin ist im Herbst 2025.
Die roten Hoffnungen liegen darum auf Brandenburg, so paradox es auch klingt. Versteckt Woidke den unbeliebten Scholz gut genug, um Platz eins zu erreichen, rettet das dessen Kanzlerschaft – zumindest für die nächste Zeit.
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