Das mag technisch klingen, wirkt in Deutschland aber wie sozialer Sprengstoff. Denn der Paragraph 218, der Abbrüche regelt, ist seit Jahrzehnten für erbitterte Kämpfe gut, er hat 1990 beinahe die Einheit zum Kippen gebracht (siehe Infobox). Diese Zerrissenheit zeigt sich auch jetzt: SPD und Grüne, die die Fristenregelung zu Amtsantritt noch euphorisch reformieren wollten, sind plötzlich sehr zurückhaltend - manche Genossen sperren sich sogar, die Grünen sprechen nur mehr von einer „Diskussionsgrundlage“. Und die FDP, die das Ganze in ihrem Justizministerium in Gesetzesform gießen sollte, war ohnehin von Beginn an skeptisch - man werde die Ideen prüfen, heißt es vage.
Konservativer Gegenwind
Ein Grund für die Vorsicht ist der Gegenwind, der in Deutschland erstaunlich groß ist. Obwohl die katholische Kirche eine wesentlich geringere Rolle spielt als etwa in Italien oder Spanien, wurde dort das Recht auf Abtreibung bereits liberalisiert. Ein Schritt wie in Frankreich, wo man es kürzlich unter großem Beifall in der Verfassung verankert hat, wäre in Deutschland trotz der liberalsten Koalition der Geschichte derzeit nicht denkbar.
Zu tun hat das zum einen nur mit der Union, die bereits gedroht hat, eine Neuregelung vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen; das hat schon einige Gesetze der Ampel zu Fall gebracht. Maßgeblich sind auch jene „Gehsteigberater“, die sich in diversen Organisationen formiert haben und unter der Dachorganisation "Bundesverband Lebensrecht" seriös wirkende Beratung für Schwangere anbieten.
AfD will Abtreibung nur in Ausnahmefällen
Sie werden seit Kurzem von der AfD unterstützt: Die Rechtspopulisten, die in drei deutschen Bundesländern bei gut 30 Prozent liegen, treten als deren politische Lobby auf. So fordern sie etwa, dass Abtreibung nur noch in „absoluten Ausnahmen“, also aus medizinischen Gründen oder bei Vergewaltigungen, erlaubt sein soll. Alles andere sei ein Recht aus einem „Zeitgeist heraus“ und darum abzulehnen, heißt es.
Sehen kann man diesen Schulterschluss auch öffentlich, etwa bei den „Märschen fürs Leben“, die der Bundesverband Lebensrecht jährlich in einigen Städten organisiert. Dort marschieren neben Gläubigen immer mehr Politiker der Partei mit, ebenso wie Rechtsextreme und religiöse Fanatiker.
Drohungen gegen Ärzte
Deren lautstarke Polemik - mitunter ist bei den Demos auch von „Genozid“ die Rede - führt dazu, dass viele Frauen oft nicht wissen, wie sie eine ungewollte Schwangerschaft beenden können. Die Zahl der Ärzte, die einen Abbruch anbieten, hat sich binnen der letzten 20 Jahre in Deutschland halbiert; in manchen Bundesländern - etwa Bayern - gibt es keine einzige Stelle, die die gesetzlich verpflichtende Beratung vor dem Eingriff durchführt, und viele Mediziner lassen sich im öffentlich einsehbaren Register nicht listen.
Der Grund dafür ist hauptsächlich Angst: Die Aktivisten stehen nicht nur vor Praxen, sie attackieren manche Ärzte geradezu, belagern ihre Wohnungen oder zeigen sie wegen Lappalien an. Für die Frauen ist das doppelt problematisch, sagen auch die Experten in der Regierungskommission. Ihnen wird beim Betreten der Praxen nicht nur Angst gemacht, sie fürchten auch um ihre Anonymität - ein Schwangerschaftsabbruch ist schließlich eine höchst private und emotionale Sache.
Die Kriminalisierung, sagt Expertin Frauke Brosius-Gersdorf, mache das nur noch komplizierter. „Für die Frauen macht es einen großen Unterschied, was sie tun - ob es Recht oder Unrecht ist.“
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