Abtreibungen: Verhärtete Fronten und die Frauen dazwischen
Zum Sex hat sich Katharina (Name geändert) mit ihrem Freund in Stundenhotels getroffen. Mit 17 Jahren wurde sie schwanger – und wusste, sie konnte das Kind nicht behalten. „Ich habe abgetrieben. Erzählt hab’ ich das damals fast niemandem“, sagt die heute 75-Jährige.
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Schwangerschaftsabbrüche galten nicht nur in den 1960er-Jahren als Tabu, sondern auch heute noch. Wie sehr das Thema polarisiert, zeigte sich erst vergangenes Wochenende: Beim „Marsch für das Leben“ zogen laut Veranstalter rund 3.000 Teilnehmer mit Blaskapelle und Sprechchören durch die Wiener Innenstadt.
Auch wenn es dagegen immer wieder zu Protesten kommt, rechtlich ist eine Abtreibung in Österreich innerhalb der ersten drei Monate möglich (siehe Infobox). In der Praxis ist es aber oft schwieriger. Vor allem im Westen.
Suche nach Nachfolger
Vorarlberg etwa könnte schon bald ohne Arzt dastehen. Benedikt-Johannes Hostenkamp, der einzige Gynäkologe, der derzeit Schwangerschaftsabbrüche durchführt, ist im August 71 Jahre alt geworden und will mit Anfang 2024 in Pension gehen. Angekündigt hat er das bereits vor über einem Jahr.
Passiert ist auf politischer Ebene seitdem kaum etwas. Zwar wurde eine Praxis für künftige Schwangerschaftsabbrüche gefunden, der Umbau dauert aber bis Ende 2024. Als Übergangslösung sprach sich die Vorarlberger Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (ÖVP) für eine Privatordination im Krankenhaus aus. Die Weichen waren schon gestellt, zurückgepfiffen wurde Rüscher dann aber von der eigenen Partei. Als sich dann auch noch der Bischof dagegen aussprach, war das Projekt Geschichte.
- In Österreich ist eine Abtreibung laut Paragraf 96 grundsätzlich nicht legal. Das Gesetz sieht Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor.
- Es gibt aber Ausnahmen: Laut der sogenannten Fristenlösung ist eine Abtreibung straffrei, wenn sie innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft durchgeführt wird. Diese Änderung im Strafgesetzbuch trat im Jahr 1975 in Kraft – trotz heftigen politischen und religiösen Widerstands.
- Für Barbara Maier, Vorständin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Klinik Ottakring, reicht die Fristenlösung nicht aus. „Es braucht ein neues Bewusstsein in der Gesellschaft, was Abtreibungen betrifft.“
- Ein Schwangerschaftsabbruch sollte als normaler, gesundheitlicher Eingriff verstanden werden, so die Ärztin. Damit das auch in der Praxis gelebt wird, fordert sie, den Paragrafen 96 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. „Damit weder Ärzte noch Frauen das Gefühl haben, etwas Illegales zu tun“, betont die Gynäkologin.
Ganz ähnlich die Situation in Tirol: Die SPÖ-Soziallandesrätin Eva Pawlata forderte Schwangerschaftsabbrüche in Krankenhäusern. Wie auch in Vorarlberg schalteten sich die ÖVP (dieses Mal als Koalitionspartner) und der Bischof ein. Statt im Krankenhaus führen in Tirol seit September drei Ärzte Abtreibungen durch. Bisher gab es auch hier nur einen Arzt.
Keine Übergangslösung in Vorarlberg
Aber zurück nach Vorarlberg: Hier gibt es nach wie vor keine Übergangslösung. Dass es äußerst schwierig ist, einen Nachfolger zu finden, weiß auch der Vorarlberger Arzt Benedikt-Johannes Hostenkamp. Trotz intensiver Suche hat er bisher niemanden gefunden. „Einige wären interessiert, wollen es aber nicht alleine oder nicht unter eigenem Namen machen“, sagt Hostenkamp.
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Auch er selbst habe viel Hass abbekommen – von Drohanrufen bis hin zu Morddrohungen. Das schrecke viele ab. „Dazu kommt, dass sich bei einem Schwangerschaftsabbruch zwei Grundrechte gegenüberstehen, nämlich das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und das Lebensrecht des Embryos.“
Dass das Thema polarisiert, weiß auch Petra aus eigener Erfahrung. Die heute 53-Jährige wurde noch vor ihrer Matura ungewollt schwanger. Auch sie entschied sich, das Kind abzutreiben.
„Es hat damals nicht gepasst, ich wollte ins Ausland gehen und die Schule fertigmachen. Meine Gynäkologin hat mich dann zu einem Arzt geschickt, der ‚das Problem lösen werde‘.“ In der Ordination angekommen, erhielt die damals Minderjährige einen Zettel. Darauf stand: „Der Arzt haftet nicht für Spätfolgen.“
Tiefer Graben
Einer der Gründe, weshalb sich Petra erst Jahre später einer Freundin öffnete, sei die starke Stigmatisierung gewesen. „Bei diesem Thema sind extreme Positionen stark vertreten, zwischen Pro- Choice- und Pro-Life-Vertretern liegt ein tiefer Graben. Die Debatte wird auf dem Rücken der Frauen geführt, die still in der Mitte zwischen den Fronten leiden“, sagt die Kärntnerin.
- Erfolgt ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft, werden die Kosten nicht von der Krankenkasse übernommen und variieren je nach Methode zwischen 330 und 840 Euro für medikamentöse Abbrüche und
550 zwischen 939 Euro für eine Vakuumaspiration. - Die Initiative Pro-Choice-Austria setzt sich dafür ein, dass Abtreibungen grundsätzlich nicht von Frauen finanziert werden. „Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche sollten von der Krankenkasse bezahlt werden“, betont Aktivistin Pamela Huck.
- Die hohen Kosten von mehreren Hundert Euro seien ein zusätzlicher Faktor, der Frauen abschrecken könnte.
- Ein Verein, der Frauen in Not zumindest die finanzielle Hürde abnimmt, ist „Changes for Women“. Die Initiative wurde 2018 gegründet und finanziert Abtreibungen aus Spendengeldern.
- Die Nachfrage ist groß: „Wir merken einen Anstieg und großen Bedarf an diesen Unterstützungsleistungen. Dieses Jahr hatten wir bisher über 300 Anfragen und konnten knapp 200 Mal auch finanziell unterstützen“, sagt Isabel Tanzer von „Changes for Women“. Betroffene Frauen können sich unter hilfe@changes-for-women.org melden.
- Eine Liste der Kliniken und Ärzt:innen, die Abbrüche in Österreich durchführen, finden Sie hier.
In Österreich werden laut Schätzungen jährlich zwischen 20.000 und 40.000 Abbrüche durchgeführt. Glaubt man dem Vorarlberger Gynäkologen, ist diese Zahl allerdings viel zu hoch angesetzt: „In Deutschland, wo es eine Meldepflicht gibt, sind es zwischen 100.000 und 110.000 Schwangerschaftsabbrüche. In Österreich dürfte die Zahl also bei rund 10.000 Abbrüchen liegen.“
Er selbst führt um die 300 Eingriffe pro Jahr durch. Beratung spielt dabei eine entscheidende Rolle. Nicht umsonst bezeichnet er sich – in seiner beruflichen Rolle – als „Lebensschützer“. Rund 15 Prozent seiner Patientinnen behalten das Kind. „Zehn Prozent melden sich für die Beratung an und ohne zu kommen wieder ab. Weitere fünf Prozent kommen nach der Beratung und Untersuchung nicht wieder“, sagt Hostenkamp.
Vielleicht wäre auch Petras Leben anders verlaufen, hätte sie damals jemand unterstützt. „Ich habe meine Abtreibung sofort nach dem Eingriff bereut. Mir ist es danach nicht gut gegangen, ich bin in eine schwere Depression gerutscht“, sagt die Kärntnerin.
„Mit einer guten Beratung hätte ich das Kind damals behalten. Ich hab’ geglaubt, ich schaffe das allein nicht“. Das Wichtigste sei, Frauen in ihrer Entscheidung zu unterstützen – egal, wie diese ausfalle, sagt sie.
Bordsteinberaterinnen
Anders sehen das sogenannte Bordsteinberaterinnen. Auch vor der Praxis von Hostenkamp finden sich regelmäßig Aktivistinnen ein, die Patientinnen anpöbeln. Aufhalten lasse sich davon aber keine Frau, so der Arzt. Schwangerschaftsabbrüche abzuschaffen, wäre in seinen Augen nicht zielführend.
„Ich vergleiche das gerne mit der Feuerwehr. Nur weil heutzutage die Brandschutzmaßnahmen besser sind, kommt niemand auf die Idee, die Feuerwehr abzuschaffen. Das Gleiche gilt bei Schwangerschaften: Nur weil es gute Verhütungsmittel gibt, sollte man nicht die Abbrüche verbieten.“ Eine Bannmeile gegen Bordsteinberaterinnen – wie es sie in Wien bereits gibt – wäre durchaus hilfreich, sagt er.
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Ihrem Freund hat Katharina von der Schwangerschaft erst nach dem Abbruch erzählt. „Er war sehr erleichtert“, sagt die 75-Jährige. Geheiratet haben die beiden später trotzdem, auch wenn die Ehe nicht bis heute gehalten hat. Bereut hat Katharina ihren Schwangerschaftsabbruch nie. „Ich denke, dass sich diese Entscheidung keine Frau leicht macht. Aber für mich war es das einzig Richtige. Es ging um meine Zukunft.“
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