Deutsches Personalkarussell dreht sich
Auch wenn die Verhandler öffentlich weiter bestreiten, dass über die Ressortverteilung schon geredet wird, spielen Personalfragen eine mindestens so große Rolle wie die inhaltlichen. Sie sind eben spannender als etwa die Finanzierung der vielen geplanten neuen Wohltaten – und politisch mindestens genauso wichtig.
Schäubles Optionen
Doch der wird zunehmend in Händen der SPD gesehen, wobei der derzeitige Fraktionsvorsitzende, Frank-Walter Steinmeier, als haushoher Favorit gilt. Er hatte das, neben Finanzen angesehenste, Ressort schon in Merkels erster Großer Koalition und führte das gut und gern. Zuletzt sendete Steinmeier widersprüchliche Signale, ob es ihn nochmals reizen würde, denn es ist faktisch weniger mächtig als sein derzeitiger Job.
Bis zur vermeintlichen Halbzeit wähnten sich die Verhandler auf gutem Wege, vor allem die Bosse: CDU-Chefin Angela Merkel, SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer. Die zwölf den Ministerien zugeordneten Arbeitsgruppen hatten die einfacheren Themen teils abgearbeitet. Wenn es schwierig wurde, kleisterten sie allerdings Dissens einfach mit mehr Steuergeld zu. Das führte schon am Wochenende zu Mehrausgaben von 52 Milliarden Euro – und der Notbremse der Parteichefs, die alles unter „Finanzierungsvorbehalt“ stellten.
Denn über zwei Grundprinzipien waren sie sich bisher ziemlich einig. Die Union bringt ihr wichtigstes Wahlversprechen durch: Keine höheren oder neuen Steuern und keine neuen Schulden. Und die SPD ihres vom „flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro/ Stunde“. Einigermaßen Konsens wurde auch über die Reform der Überförderung alternativer Energien und in der Außen- und Europapolitik erzielt: Es soll keine weitere deutsche Schuldenübernahme geben.
In den vergangen Tagen allerdings hat sich die Stimmung dramatisch verschlechtert – in beiden Parteien, vor allem aber in der SPD. Obwohl die zuvor größte Skeptikerin der Großen Koalition, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, inzwischen flexibler wurde, bangen mittlerweile immer mehr Genossen, ob es Gabriel am Freitag beim SPD-Parteitag gelingen wird, die vielen extrem koalitionskritischen Funktionäre des Mittelbaus zu überzeugen. Nun rächt sich Gabriels linker Konfrontationskurs im Wahlkampf: Enge Berater bezweifeln, ob er die geweckten Erwartungen eines „Politikwechsels“ erfüllen kann
In der SPD-Zentrale in Berlin gilt ein gutes Wahlergebnis am Parteitag für Gabriel als Bedingung dafür, dass die SPD die Koalitionsverhandlungen weiterführt. Nur mit einer solchen Stärkung des Parteichefs sei die von ihm als Beruhigung für die Basis und zugleich als Druckmittel gegenüber Merkel erfundene Mitglieder-Abstimmung über den dann ausgehandelten Koalitionsvertrag zu gewinnen. Auch deshalb sei der Ton zuletzt wieder rauer geworden: Zu viel Konsens jetzt schade Gabriel.
Handschrift
Aber auch in der Union ist die Stimmung plötzlich schlechter geworden. Mit zunehmender Verbitterung registrieren ihre Länder-Funktionäre, dass nur die SPD ihre Basis befragt und die eigene von CDU-Chefin Angela Merkel komplett entmündigt wird. Auch der Wirtschaftsflügel fühlt sich mit vielen Kompromissen auf Kosten der Wirtschaft überfahren. Vor allem aus dem bisher CDU-regierten Hessen kommen sehr kritische Stimmen, die mehr eigene „Handschrift“ der Konservativen und das Widerspiegeln der eigenen Stärke im Bundestag in den Verhandlungsergebnissen fordern.
Typisch für die Nervosität waren deshalb die zwei Verhandlungsabbrüche der letzten 24 Stunden: Die SPD beendete die Verhandlungen in der Arbeitsgruppe Familie, Frauen, Gleichstellung, „weil die Union nicht das volle Adoptionsrecht für homosexuelle Paare will“ und in der Arbeitsgruppe Verkehr wegen des Festhaltens der CSU an der Autobahnmaut für Ausländer. Insider sehen daher „nur noch 60 Prozent-Chancen auf die Koalition.“
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