Deutscher Ex-Botschafter attestiert Ankara "neoosmanisches Denken"
Deutschlands ehemaliger Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, hat der Regierung in Ankara "neoosmanisches Denken" attestiert. Im Deutschlandfunk sagte Erdmann am Sonntag, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wünsche sich für sein Land eine Rolle, die das Osmanische Reich bis Anfang des 20. Jahrhunderts gespielt habe - als bedeutende Ordnungsmacht in der Region und weit darüber hinaus bis zum Balkan.
Es sei aber völlig klar, dass dies nicht umsetzbar sei. Die Entwicklungen etwa in den Bereichen Justizwesen, Pressefreiheit und Außenpolitik nannte Erdmann "verstörend". Trotzdem warb er für eine Fortsetzung der Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei zur EU. In der Türkei seien mit den Beitrittsverhandlungen große Hoffnungen verbunden, als Mechanismus, der es erlaube, innerstaatliche Reformen von außen anzustoßen. 2018 hatte der Europäische Rat beschlossen, die Verhandlungen nicht fortzuführen. Sie sind formal nicht beendet.
Die türkische Gesellschaft habe er als "durch und durch" demokratisch erlebt, betonte Erdmann. Zwar seien die Wahlen, die in seiner Zeit als Botschafter in der Türkei stattgefunden hätten, nicht fair gewesen, aber frei. "Die demokratischen Reflexe in der Türkei funktionieren", sagte Erdmann.
Erdmann betonte weiter, dass es auch "unser eigenes europäisches und deutsches Interesse" sei, dass die Türkei einen "Stabilitätsfaktor darstellt in einer extrem volatilen Region". Gemessen an den türkischen Nachbarländern Syrien, Irak und Iran, die "ganz erheblichen Destabilisierungsentwicklungen unterliegen", sei die Türkei ein "Hort der Stabilität", betonte der Diplomat.
Kommentare