Der "Sultan" spielt mit dem Feuer

Der türkische Präsident Erdoğan schockt mit neo-osmanischen Expansionsfantasien – nicht zum ersten Mal.

Wächter mit Speeren; Krieger in Rüstungen, Helme voller Ornamente; dazu Trommler und Bläser. Allesamt aufgefädelt zu einem Spalier im Prunkpalast zu Ankara. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan liebt es, vor dieser Kulisse seine Staatsgäste zu empfangen. Gerne sonnt er sich im Glanz des einst riesigen Osmanischen Reiches, das der "Sultan" in seinen Allmachtsfantasien immer öfter als Blaupause für seine expansive Politik bemüht.

Der "Sultan" spielt mit dem Feuer
"Wir können nicht auf 780.000 Quadratkilometern eingesperrt werden", sagte er beim Festakt zum 78. Todestag von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk vorgestern. Und weiter: "Wenn Sie heute nach Syrien, in den Irak, nach Afrika oder zu irgendeinem Ort auf dem Balkan gehen, hören Sie nie Ausdrücke wie Unterdrückung. Es ist bereits ein Jahrhundert vergangen, seit dem wir diese Regionen verlassen haben, aber die Menschen haben nie aufgehört, zu warten."

"Tore bis Wien öffnen"

Es ist nicht das erste Mal, dass Erdoğan die osmanische Karte spielt und an die imperiale Größe vergangener Tage anknüpft. Schon zum Jahrestag der Eroberung Konstantinopels (29. Mai 1453) ließ er seinen damaligen und später geschassten Premier Ahmet Davutoğlu im Vorjahr poltern: "Sie haben damals gesagt, Mehmed II. könne Konstantinopel niemals erobern, aber er hat es geschafft. Heute sagen sie, die Türkei könne niemals Weltmacht sein. Wir werden ihnen unsere Geschichte schon noch beibringen. Wir sind unterwegs zu neuen Eroberungen." Erdoğan selbst legte dann nach: Die wichtigste Eroberung sei natürlich die der Herzen, Eroberung heiße aber auch, "die Tore bis Wien zu öffnen für unsere Leute".

Dass der starke Mann vom Bosporus in diesem Kontext den Vertrag von Lausanne infrage stellt, rundet das Gesamtbild seiner regionalen Ambitionen ab. Das Dokument, in dem nach dem Ersten Weltkrieg 1923 die Grenzen der heutigen Türkei festgeschrieben wurden, sei "unfair" und bedeute eine "Niederlage" – wo doch beispielsweise griechische Inseln in Rufweite der Türkei lägen.

Erdoğan mit historischem Sendungsbewusstsein

Lange Zeit waren die osmanischen Einwürfe des Präsidenten als nostalgische politische Folklore abgetan worden. Dabei wurde freilich sein historisches Sendungsbewusstsein übersehen, mit dem er das Land in lichte Höhen führen und an alten Zeiten andocken will.

Tatsächlich hat sich der Einfluss der Türkei auf dem Balkan politisch und wirtschaftlich in den vergangenen Jahren stark erhöht. Auch in der arabischen Welt versucht Erdoğan zu punkten – wegen seiner harten Kritik an Israel während des Gazakrieges wurde er zum Helden der arabischen Massen. Mit dem Export unzähliger TV- und Filmproduktionen in die Region soll auch die kulturelle Hegemonie erreicht werden.

Dass der "Sultan" nun aber ein Auge auf das syrische Aleppo und das nordirakische Mossul geworfen hat, bei dessen Befreiung von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) die türkische Armee beteiligt ist, geht vielen, vor allem der Regierung in Bagdad, dann doch zu weit. Wie überhaupt die neo-osmanischen Anleihen Erdoğans unter den Arabern als Bedrohung empfunden werden.

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