Der Pate und sein „Schützling“ im weißrussischen Gulag
Wie sich EU-Abgeordnete, darunter der Österreicher Lukas Mandl, um politische Gefangene in Europas letzter Diktatur kümmern und auf deren Freilassung drängen.
Den Wahlsonntag in Belarus (Weißrussland) vor einem Jahr hat Dzianis Kireshchanka nicht mehr miterlebt. Da saß er schon einen Tag lang im Gefängnis. Und da sitzt der 46-jährige Kleinunternehmer bis heute. Sein angebliches Vergehen, „Aufwiegelung von Massenprotesten“, brachte dem zweifachen Familienvater vorerst eine eineinhalbjährige Haftstrafe ein. „In Wahrheit hat Dzianis sein Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausgeübt“, sagt Lukas Mandl, „und das muss im Europa des 21. Jahrhunderts jederzeit möglich sein.“
Mandl, Abgeordneter im EU-Parlament (ÖVP) und Mitglied im Ausschuss für Justiz und Inneres, hat für den inhaftierten Weißrussen eine Gefangenen-Patenschaft übernommen. Das heißt Briefe schreiben, um dem Gefangenen zu signalisieren: Er wird nicht vergessen. Das heißt aber auch Druck ausüben auf die autoritäre Staatsmacht in Minsk. „Das brutale Vorgehen des Regimes in Belarus ist inakzeptabel“, ärgert sich Mandl, „ich verlange die sofortige Freilassung von Dzianis sowie die aller anderen politischen Gefangenen.“
600 politische Gefangene
An die 600 politisch Inhaftierte sind es bereits: Männer, Frauen, Jugendliche, die gegen Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko und dessen gefälschten Wahlsieg demonstriert haben. Ein Regime-kritischer Sticker auf der Tasche reicht oft schon für eine Verhaftung.
Ähnliche Patenschaften, initiiert von der Menschenrechtsorganisation Libereco, haben auch andere Politiker übernommen. Sie alle aber stießen bisher auf eine Mauer des Schweigens. Keine Reaktion vom Regime in Minsk, keine Antwort der Gefangenen. Ob sein „Schützling“ seine Briefe überhaupt erhalten hat, weiß Mandl nicht.
Er weiß nur: Dzianis Kireshchanka, der mit Politik wenig am Hut hatte, wollte im August 2020 faire Wahlen. Keine, wo alle ernsthaften Herausforderer schon vorher verhaftet oder wie im Fall Svetlana Tichanowskaja ins Exil getrieben wurden. Keine, wo sich Diktator Lukaschenko mit Fälschungen, Druck und Gewalt an der Macht hält. Doch es kam genau so, und Dzianis Kireshchanka wurde von der Straße weg verhaftet.
Nur so viel weiß man vom 46-Jährigen: Er sitzt im Gefängnis seiner Heimatstadt Hrodna. Ein Gefängnis auf dem Gelände eines ehemaligen Jesuitenklosters im Stadtzentrum. Was hinter den hohen weißen Gefängnismauern passiert, berichten Freigelassene: Schläge, Schlaf- und Medikamentenentzug, auch Folter. Corona-Erkrankungen unter den eng zusammengepferchten Gefangenen werden kaum behandelt.
Lukaschenkos "Aufräumaktion"
Im Visier des immer rigoroser vorgehenden Regimes sind jetzt auch Ärzte. Mehr als 250 sitzen im Gefängnis. In der Vorwoche ließ Lukaschenko auch noch an die 50 NGOs verbieten, darunter Behindertenorganisationen. „Eine Aufräumaktion ist im Gange“, tobte Lukaschenko. „Glauben Sie, dass das einfach ist? Tausende unserer Leute arbeiten für sie, und ihre Gehirne werden verzerrt und mit ausländischem Geld einer Gehirnwäsche unterzogen.“
Mandl wertet das harte Vorgehen der belarussischen Behörden als Zeichen „steigender Nervosität bei Lukaschenko: Für die Bevölkerung wird es immer schwieriger, aber umso mehr muss man nun von außen den Druck auf Weißrussland hochhalten“.
„Menschenverachtend“
Die USA und EU haben Sanktionen verhängt gegen mehr als 100 Personen, aber auch gegen Sektoren, die Weißrusslands staatlich gelenkte Wirtschaft erstmals wirklich schmerzen. Und der Diktator rächt sich. Lukaschenko lässt Migranten ins benachbarte Litauen schleusen. Dort wurden heuer bereits mehr als 2.000 Menschen aufgegriffen – im Vorjahr waren es 81. Mandl: „Staatliche belarussische Organisationen beteiligen sich am Schlepperwesen. Sie entwurzeln Menschen im Nahen Osten und locken sie unter falschen Vorstellungen. Das ist unverschämt, zynisch, menschenverachtend.“
Was wird Mandl tun, um seinen „Schützling“ im Gefängnis beizustehen? „Weiter Briefe schreiben und Druck machen.“ Seine Hoffnung: „Ich will im Herbst im Rahmen meiner parlamentarischen Arbeit vorschlagen, dass die EU Tichanowskaja als offizielle Vertreterin von Belarus akzeptiert. Schließlich ist sie 2020 nur deswegen nicht Präsidentin geworden, weil die Wahlen gefälscht waren.“
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