Wann waren Sie das letzte Mal in Ihrer Heimat?
Im September 2020. Da habe ich die Entscheidung getroffen, das Filmmaterial in Sicherheit zu bringen. Ich kann mir gerade nicht vorstellen nach Belarus zu fliegen.
Haben Sie Angst, dass Sie aufgrund der Doku verfolgt werden? Erhalten Sie Morddrohungen?
Ich habe selbstverständlich die Sorge um meine Sicherheit, bis jetzt haben ich und meine Familie noch keine Morddrohungen erhalten.
Wie ist das beeindruckende Filmmaterial entstanden?
Die Dreharbeiten waren sehr riskant. Ich habe mit der unglaublich mutigen Kamerafrau Tanya Hayrulchyk an allen Protesttagen im August 2020 teilgenommen. Wir wussten, dass geschossen wird, deswegen waren wir auf Tränengas und Blendgranaten vorbereitet, trugen Gas- und Schutzmasken. Trotzdem hat die Brutalität des Sicherheitsapparates des Regimes unsere schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Die ersten drei Tage haben wir ohne Internetverbindung gedreht, da das Internet in Minsk komplett ausgeschalten wurde. Deswegen hatten wir ständig einen Informationsmangel und mussten unserem Bauchgefühl vertrauen. Zum Glück wurden wir nicht festgenommen.
Wie geht es den Protagonistinnen und Protagonisten, die sich bei den Protestaktionen filmen ließen und offen über den Umbruch, den Sturz des Regimes sprachen?
Sie zahlen leider einen Preis für ihren Widerstand gegen das Regime. Sie haben Belarus verlassen und leben alle drei inzwischen im Exil in Kiew. Denis und Pavel, die auch eine Band haben, sind im Februar bei einem Konzert verhaftet worden. Nach 15 Tagen Haft sind sie wieder freigekommen und haben die Entscheidung getroffen, sofort nach Kiew ins Exil zu gehen. Marina hat direkt nach der Geschichte mit der Entführung des Ryanair-Flugzeugs mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn den letzten Flug nach Kiew genommen, weil sie die ständige Angst vor einer Verhaftung nicht mehr ausgehalten hat.
Mit welchen Mitteln ist Veränderung möglich?
Wir brauchen eine adäquate Verschärfung der wirtschaftlichen Sanktionen. Druck auf die Pipeline Nord Stream 2, damit Wladimir Putin keinen Grund mehr für die Unterstützung von Lukaschenko hat. Wenn Putin zum Schluss kommt, dass die Unterstützung des Tyrannen Lukaschenko zu teuer für ihn wird, dann wird er ihn fallen lassen. Aber eben nur dann.
Wie stellen Sie sich die Zukunft des Landes vor?
Ich habe große Hoffnung, weil meine Generation sehr ambitioniert und aktiv ist. Ich bewundere die Menschen in Belarus, die letztes Jahr aufgewacht sind und so laut gegen die Tyrannei, die Unterdrückung protestiert haben. Viele Menschen haben zwar leider schon die Hoffnung auf einen friedlichen Machtwechsel verloren, aber es ist der einzig mögliche Weg.
Gibt es in Belarus überhaupt noch kritische Berichterstattung oder spielt sich das alles im Untergrund und über Soziale Netzwerken ab?
Fast jede Regime-kritische Medienberichterstattung findet im Untergrund statt und wird über Telegram-Kanäle geteilt.
Im Film ist von „schwarzen Listen“ die Rede. Was genau hat es damit auf sich?
Wenn ein Künstler in Belarus auf der „schwarzen Liste“ steht, ist er für den Staat gestorben: Er wird nie auf einer staatlichen Bühne auftreten oder über ihn wird nie ein Artikel in der Zeitung erscheinen. Viele Künstlerinnen und Künstler können unter diesen Umständen nicht überleben, hören auf und gehen einer anderen Tätigkeit nach.
Wie beurteilen Sie die nun von den USA und Europa beschlossenen Sanktionen?
Bis jetzt sind das nur symbolische Gesten. Die Menschen in Belarus fühlen sich alleine gelassen. Es wäre Zeit zu handeln, sonst reden wir noch in fünf Jahren über das Schicksal von Lukaschenko.
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