Krieg der Zukunft: "Drohnen heute so zugänglich wie Schusswaffen"
Programmierer statt Scharfschützen, Software statt Panzer: Das Militär ist nur mehr ein Baustein von vielen, um seinen Feind zu verwunden. Wann beginnt heute Krieg?
Das weltpolitische Schauspiel, das die USA und der Iran derzeit bieten, wirkt widersprüchlich. Da zerfetzt eine amerikanische Rakete vor wenigen Tagen den iranischen General Kassem Soleimani: Die USA treffen den Iran ins Mark, indem sie den populären Militärchef, einen der gefährlichsten Männer der Mullahs, ausschalten. Und doch sagt US-Präsident Donald Trump: „Wir wollen keinen Krieg beginnen.“
Nun bombardierten die Iraner eine Militärbasis im Irak mit amerikanischen Soldaten, und auch Teherans Führung versichert: „Wir wollen keine Eskalation oder Krieg.“
Es klingt seltsam, hat aber zugleich eine gewisse Logik. Denn was wir als klare Kriegshandlung empfinden, muss aus völkerrechtlicher Sicht kein Krieg sein. Die Amerikaner haben kein Interesse, Teheran offiziell den Krieg zu erklären, der schwächere Iran umgekehrt hat ebensowenig ein Interesse an einem offenen Krieg.
Genauso halten es heutzutage Staaten rund um den Globus. Während die Staatsführer im 20. Jahrhundert noch mit Panzern, Flugzeugen, Kriegsschiffen und Bodentruppen um Territorium kämpften, schmiedet man heute andere Waffen. Über Sieg und Niederlage entscheiden nicht mehr militärische Mittel – zumindest nicht alleine.
Militärwissenschaftler sprechen von „hybrider Kriegsführung“. Der Krieg des 21. Jahrhunderts macht oft keinen Unterschied mehr zwischen militärischen und zivilen Zielen, und weder sein Beginn noch sein Ende lässt sich klar ausmachen. Krieg oder Frieden, die Grenze verwischt. Nicht nur Staaten kämpfen mit teilweise undurchschaubaren Mitteln – hinzu kommen nicht-staatliche, paramilitärische Akteure. Der hybride Krieg ist einer ohne Kriegserklärung.
Wenn Kreml-treue Milizen im Jahr 2014 auf der ukrainischen Halbinsel Krim in Uniformen ohne Hoheitszeichen patrouillieren, kann man von einer hybriden Kriegstaktik des russischen Präsidenten Wladimir Putin sprechen. Ein Effekt solcher Militärstrategien: Wenn der Krieg sein Gesicht verändert und nicht einmal mehr so benannt wird, wird das humanitäre Völkerrecht, das im Krieg dem weitestmöglichen Schutz von Menschen, Gebäuden und Infrastruktur dient, zahnlos.
Andere Zeiten, andere Kriege
Die Skala der unkonventionellen Kriegsmittel ist groß, grün uniformierte Kämpfer ohne Hoheitssymbol befinden sich am oberen Ende. Hybride Kriege können aber schon viel niederschwelliger beginnen. Sie können mit Computern und Software, aber auch wirtschaftlichem Druck oder der Verbreitung falscher Nachrichten („Fake News“) anfangen.
Blickt man in die Geschichtsbücher, ist das frühe 20. Jahrhundert reich an Kriegen. In Südafrika tobte zur Jahrhundertwende der Zweite Burenkrieg, im Russisch-Japanischen Krieg lieferten sich die zwei Staaten ab 1904 verlustreiche Schlachten im Gelben Meer, die Briten stürzten sich im selben Jahr in einen Tibetfeldzug. Das nationale Expansionsstreben gipfelte in der Tragödie des Ersten Weltkriegs.Die Liste der Kriege im 21. Jahrhundert ist vergleichsweise kurz. Ist die Menschheit friedlicher geworden? Mitnichten.
Kriegserklärungen bringen keinen Nutzen mehr
„Der Krieg ist ein Chamäleon, das sich an die gesellschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen des Zeitalters anpasst. Eine Kriegserklärung an einen anderen Staat ist heute nicht mehr effizient“, sagt Generalmajor Johann Frank, Chef der Direktion für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium, zum KURIER. Viel wirkungsvoller sei es, Macht über indirekte Methoden auszuüben.
In einer globalisierten, digitalisierten Welt ist es für Staaten relativ uninteressant, mit Soldaten fremde Gebiete zu besetzen. Mit einem „hybriden Krieg“ meinen Militärs in Europa heute in erster Linie Angriffe auf westliche Demokratien. Wobei Frank betont: Ein Angriff von Computerhackern, eine Terrorattacke auf einen Weihnachtsmarkt oder der Kauf eines wichtigen ausländischen Unternehmens ist nicht gleich ein hybrides Kriegsmanöver. „Eine hybride Strategie beinhaltet immer auch die Fähigkeit, auf konventionelle Kriegsführung hochzuschalten.“ Und diese Fähigkeit haben nicht alle Player.
Neue Kriegswaffen
Und doch kommen auf westliche Staaten, auch Österreich, Probleme zu. Denn Computer, Software und sogar Drohnen sind erschwingliche Massenwaren geworden. Damit halten auch arme Staaten sowie nicht-staatliche Gruppen mit einem Mal potenzielle Kriegswaffen in Händen. „Die Durchführung von Angriffen ist viel einfacher geworden“, sagt Frank. „Drohnen sind heute beispielsweise so einfach zugänglich und verbreitet wie früher Schusswaffen.“
Natürlich haben auch die Amerikaner und ihre Verbündeten keine Hemmungen vor Cyber-Angriffen. Hinter dem legendären Computervirus Stuxnet standen mutmaßlich die USA, wenngleich sie sich nie zu der Attacke bekannten. Der Virus zerstörte im Jahr 2010 iranische Zentrifugen, mit denen Uran (zur nuklearen Nutzung) angereichert wurde. Hacker könnten in entfernten Gebieten ebenso gut Züge zum Entgleisen, Wasserkraftwerke zum Erliegen oder Hallenbäder zum Brodeln bringen.
Die US-Sicherheitsexpertin Leslie Harris nannte Stuxnet einst „den ersten Schuss in einem Krieg, den wir alle verlieren werden“.
Destabilisierung
Die Lehrbücher kennen vier Phasen der hybriden Kriegsführung: Voraussetzungen für Einfluss schaffen, dann diesen ausüben, später Destabilisierung und schließlich das Niederringen des Gegners. „Das Ziel von hybrider Kriegsführung ist nicht, die Macht über ein Gebiet zu übernehmen, sondern die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in demokratische Institutionen zu erschüttern“, sagt Frank.
Befindet sich auch Europa bereits in hybriden Konflikten? „Europa und auch Österreich sind davon betroffen, wie die jüngsten Cyber-Aktivitäten gegen das Außenamt belegen“, sagt Frank. „Nur scheinbar“ würden die Bürger im Westen „im tiefsten Frieden leben“.
Verwundbarkeit
Die Konflikte zwischen Staaten und Systemen haben sich vom Militärischen in die Bevölkerung verlagert. Die Armeen versuchen, sich gegen die oft unsichtbaren Strategien ihrer Gegner zu rüsten. Es braucht neue Technologien, neues Personal, mehr Zusammenarbeit mit Wirtschaft, Politik und anderen Teilen der Gesellschaft. Das Bundesheer wirbt heutzutage um externe Software-Profis, die das Militär bisher nur aus Actionfilmen kennen.
Die Ära der hybriden Kriege kann man auch als Kehrseite einer digitalisierten, vernetzten Welt begreifen. Wir können billig reisen und kommunizieren, Waren aus der ganzen Welt kaufen, das halbe Leben findet im Netz statt. Neue Chancen, neue Angriffsflächen. Vernetzung bedeutet auch: Verwundbarkeit.
Die wichtigsten Player im Nahen und Mittleren Osten
Ursprünglich wollte der US-Präsident das Engagement der Vereinigten Staaten in der Region zurückfahren, doch vor allem seine wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran sorgen immer wieder für Krisen, denen Trump sich nicht entziehen kann – und will. Schließlich sind sie zum größten Teil hausgemacht. Die Vorherrschaft im Irak verliert er derzeit an den Iran.
Irans „Oberster Führer“ musste mit der Ermordung seines Generals Kassem Soleimani einen schweren Schlag hinnehmen, weiß aber, dass der Iran für einen konventionellen Krieg gegen die USA nicht ansatzweise gerüstet ist. Trotzdem ist die Islamische Republik in den vergangenen Jahren zu einem extrem bedeutenden Akteur in der gesamten Region geworden.
Der saudische Kronprinz hatte und hat die Ambition, sein Königreich politisch wie religiös zur bestimmenden Macht im Nahen und Mittleren Osten zu machen. Was er an Geld und anderen Mitteln hat, scheint ihm an politischem Geschick zu fehlen. Keine seiner bisherigen Interventionen – ob Katar, Jemen oder Syrien – ist bisher erfolgreich verlaufen.
Der russische Präsident hat es in den vergangenen Jahren geschafft, sein Land wieder zu einem einflussreichen Akteur im Nahen und Mittleren Osten zu machen. Mit seiner Intervention im syrischen Bürgerkrieg, geschickten Verhandlungen mit dem Iran und der Türkei sowie massivem Einsatz seiner Luftwaffe weitete er den Einfluss Moskaus stark aus.
Mit seinen Offensiven auf Nordsyrien und seinen engen Verbindungen zu Katar untermauert der türkische Präsident seine Ansprüche, in der Tradition des Osmanischen Reiches eine unverzichtbare Kraft in der Region zu sein. Vor allem in Syrien ist ihm das auch gelungen, derzeit konzentriert sich der „Starke Mann am Bosporus“ vor allem auf den Krieg in Libyen.
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