Der hochprozentige Cocktail der britischen Politik
„Ich bin wegen Sex, Drugs und Rock & Roll in die Politik gegangen“, sagt ein Mann im Anzug in einem Cartoon im Magazin Spectator. Sex, Koks und ganz viel Alkohol könnte die Atmosphäre hinter den Kulissen der britischen Politik aber besser treffen, wenn man den Schlagzeilen folgt.
So publizierte der Sender ITV am Montag brisante Bilder von der Abschiedsfeier eines Beraters von Boris Johnson im Lockdown 2020. Der Premier prostete da, neben sieben Wein-, Sekt- und Gin-Flaschen stehend, mehreren Leuten zu.
Im Partygate-Skandal um teils feucht-fröhliche Lockdown-Feste in seinem Amtssitz schloss die Polizei kürzlich ihre Ermittlungen ab: es regnete 126 Geldstrafen für 83 Personen, darunter eine für Johnson (allerdings nicht für eben erwähnte Feier).
„Geschenk an Frauen“
Ebenso kam vor kurzem heraus, dass im März gleich neun alkoholbedingte Sicherheitsvorfälle im Parlament gemeldet wurden. Tory-Abgeordnete und Staatssekretärin Anne-Marie Trevelyan beklagte „wandernde Hände“ mancher von Macht oder Promille trunkener Kollegen: „Einige trinken zu viel oder meinen, sie seien, weil gewählt, Gottes Geschenk an Frauen“.
Es dürfte nicht die letzte Runde politischer Kopfschmerzen wegen Spirituosen und anderer Laster sein. Tory-Mandatar Neil Parish musste jüngst zurücktreten, weil ihn eine Kollegin im Unterhaus beim Porno-Schauen am Handy erwischte. Und letztes Jahr wurden in 11 von 12 Toilettenräumen im Hohen Haus Kokain-Spuren gefunden. Vor allem die Rolle von Alkohol in den Hallen der Macht wird angesichts endloser Skandale aber derzeit wieder heftig diskutiert.
„Die meiste Politik wird in Pubs gemacht“, hatte ein Tory im Londoner Stadtparlament vor einigen Jahren betont. Unterhaus-Sprecher Lindsay Hoyle warnte vor einem „Alkohol- und Drogenproblem im Parlament“. Kürzlich riet er Kollegen und ihren Mitarbeitern via BBC zu „sozialem statt starkem Alkoholkonsum“. Denn eine Reihe von Pints in den Bars im Parlament selbst, mit klingenden Namen wie Strangers’ Bar, The Woolsack, Pugin Room und Smoking Room, oder in nahen Pubs wie dem Red Lion oder der St. Stephen“s Tavern gehört dazu.
Wie andere Kneipen im Regierungsviertel, haben beide immer noch eine Glocke, die läutet, wenn Mandatare zur Stimmabgabe eilen sollen.Kein Mittel gegen Saufkultur und Kater dürften die Preise in Parlaments-Lokalen sein. Ein Pint in der Strangers’ Bar ist ab knapp vier Euro zu haben; auch teurere Marken liegen mit unter fünf Euro deutlich unter dem Londoner Durchschnittspreis.
Verhaltensauffälligkeiten
„Lange Arbeitstage und lange Abende an der Bar führen oft zu Verhaltensauffälligkeiten“, schenkte kürzlich Verteidigungsminister Ben Wallace reinen Wein ein. Der Cocktail aus Arbeitsbelastung, Erfolgsdruck und Infoaustausch beim Anstoßen werde leicht „giftig“.
Sein Rat an Politkollegen: „Meidet Bars“. Der bald erwartete Partygate-Untersuchungsbericht dürfte die Debatte über Prost-Politik weiter anheizen. Thomas Thurnell-Read, Senior Lecturer für Soziologie an der Loughborough Universität, sagt dazu dem KURIER: „Viele Berichte deuten auf eine relativ geschlossene soziale Gruppe hin, wo die Teilnahme an Trinkgelagen eine Grenze zwischen Inklusion und Ausschließung darstellt“.
Kommentare