Denkzettelwahlen: Italiener haben genug vom politischen Show-Business
Aus Mailand von Andrea Affaticati
In Rom hat der Kandidat des Mitte-Links-Lagers, der Demokrat und ehemalige Finanzminister Roberto Gualtieri, mit 60,2 Prozent der Stimmen die Stichwahl gegen den Kandidaten des Mitte-Rechts-Lager, Enrico Michetti, gewonnen. Dasselbe Ergebnis gab es in Turin. In Triest war’s umgekehrt, dort wurde der Bürgermeister aus dem Mitte-Rechts-Lager bestätigt.
Die Demokraten haben mit ihren Verbündeten bei dieser Runde Bürgermeisterwahlen vor allem in den Großstädten, neben Rom und Turin, auch Neapel und Mailand mehr Siege einkassiert, auch wenn ein verdatterter Matteo Salvini, Chef der nationalistischen Lega, dies Montag Nachmittag nicht wahrhaben wollte. In einer Pressekonferenz versuchte er deswegen, mithilfe einer mathematischen Pirouette, die Niederlage schön zu reden.
Giorgia Meloni, Vorsitzende der Rechten Fratelli d’Italia, gab zwar, zähneknirschend das Debakel zu, wies jedoch gleichzeitig auf die Schmutzkampagne der letzten zwei Wochen hin. Vor allem auf die Vorwürfe, ihre Partei sei noch fest im Bande mit so manchem Neofaschisten.
Tatsache ist aber, dass die Wähler der Politik lagerübergreifend einen Denkzettel verpasst haben. Und zwar mit Wahlenthaltung: Nur 43,9 Prozent der Wahlberechtigten haben gewählt.
Die Italiener scheinen nach 30 Jahren politischem Show-Business die Nase voll zu haben. Begonnen hatte das Anfang der 90er-Jahre mit Silvio Berlusconi, und von da an hatte man sich immer wieder von einem neuen „Heiland“ verführen lassen. Gleich ob er Beppe Grillo hieß und versprach, das Parlament wie eine Sardinenschachtel aufzumachen, oder Matteo Salvini, der mit seiner „Bestia“, wie sein Social-Media-Team genannt wurde, die Wähler in seinen Bann zog.
Draghis Sachlichkeit
Weder Grillos Diktat, weg mit den Berufspolitikern, her mit den Vertretern der Zivilgesellschaft, noch Salvinis populistische Rhetorik haben den von der Bevölkerung ersehnten Wandel mit sich gebracht. Im Gegenteil, seit den Parlamentswahlen 2018, in denen die Fünf-Sterne-Bewegung als Sieger hervorging, hat es drei Regierungen gegeben. Zuerst schlossen die Fünf-Sterne mit der Lega eine Koalition, dann mit den Demokraten – beide Regierungen hatten Giuseppe Conte als Premier. Und jetzt regiert eine Koalition aus fast allen Parteien, angeführt von Mario Draghi. Und Draghi führt vor, dass Regieren auch sachlich geht.
Politik ist die Kunst des Vermittelns, vorausgesetzt man verfügt über die nötigen Fähigkeiten, ansonsten wird es ein Debakel, wie die Fünf-Sterne-Bürgermeisterinnen Virginia Raggi in Rom und Chiara Appendino in Turin gezeigt haben. Es geht nicht darum, das Blaue vom Himmel zu versprechen, sondern das Machbare umzusetzen. Deswegen wurde in Rom Gualtieri gewählt. Der 55-jährige Politiker ist kein Publikumsmagnet, hat aber als Finanzminister der 2. Conte-Regierung in Brüssel das Next-Generation-EU-Paket mit ausverhandelt. Deswegen traut man ihm zu, die Hauptstadt aus dem Schlamassel führen zu können.
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