Das "Lincoln-Projekt": Trump wird von eigenen Parteifreunden vorgeführt
Mit Spott, Bissigkeit und wachsendem Zulauf machen konservative Parteifreunde des US-Präsidenten mobil. Ziel: Donald Trumps Wiederwahl soll um jeden Preis verhindert werden.
Als die Rebellen aus den eigenen Reihen im vergangenen Winter ihren Generalangriff auf den „korruptesten Präsidenten unserer Geschichte“ ankündigten, konterte Donald Trumps Wahlkampfsprecher noch mit Hochmut. Tim Murtaugh nannte das „Lincoln-Projekt“ einen „pathetischen, kleinen Verein bedeutungsloser und falscher „Republikaner“. Acht Monate später hat die Lobby-Gruppe rund zwei Millionen Anhänger auf Twitter und, was in Zeiten digitaler, asymmetrischer Guerilla-Wahlkampf-Kriegsführung noch wichtiger ist, im vergangenen Quartal 17 Millionen Dollar Spenden eingenommen.
Damit produzieren Kampagnenprofis wie Rick Wilson, Steve Schmidt und John Weaver, die für republikanische Präsidentschaftskandidaten wie George W. Bush oder John McCain gearbeitet haben, hochprofessionelle und millionenfach im Internet angeklickte Video-Clips, die Trump auf boshaft-bissige Weise beim Wort nehmen. Aus realen Auftritten und Rede-Sequenzen des Präsidenten montieren die Strategen unerbittliche Keulenschläge, die Trump als „Schwachkopf“ und „Landesverräter“ zeigen, der Amerika nicht nur in der tödlichen Coronavirus-Krise an die Wand fahre.
Mit zum Team gehört George Conway, verheiratet mit Trumps Chef-Beraterin Kellyanne Conway. Der Jurist, der zu den schärfsten Kritikern des „geistesgestörten Narzissten“ gehört, beschreibt den Zweck des nach Präsident Abraham Lincoln benannten Projekts so: „Trump und der Trumpismus müssen am 3. November an der Wahlurne besiegt werden.“
Zielgruppe der Spots sind unentschlossene Wechselwähler. Sie sollen in die Arme des demokratischen Herausforderers Joe Biden getrieben werden. Warum? Weil Amerika nach den „Schäden von drei Jahren Korruption und kultischer Amateurhaftigkeit“ weitere vier Jahre unter Trump nicht überleben werde.
Bei ihrem guerilla-ähnlichen Kampf wissen die Lincoln-Projekt-Leute bei Trump die richtigen Knöpfe zu drücken. Wie bei einem pawlowschen Reflex reagiert der Präsident auf die Attacken und verhilft seinen Gegnern damit zu kostenloser Reichweiten-Erhöhung.
So etwa spotteten die Inquisitoren über Trumps sieche Erscheinung bei der Abschluss-Zeremonie der Militärakademie Westpoint: Er habe dort mit zittrigen Händen ein Wasserglas an den Mund geführt und sei wie ein uralter Mann eine Rampe hinunter gewankt – da versuchte Trump danach bei einer Wahlkundgebung über 14 Minuten lang die Dinge ins rechte Licht zu rücken und lieferte dem „Lincoln Projekt“ damit erneut kostenloses Video-Rohmaterial.
Das Geschäftsprinzip floriert. „MeidasTouch.com“, eine neu gegründete Anti-Trump-Gruppe mit rund 350.000 Twitter-Anhängern, verfährt ähnlich. Ein verunglückter TV-Auftritt, in dem Trump sich herausragender kognitiver Fähigkeiten rühmt, weil er einen schlichten Demenz-Test bestanden hatte, dient hier ebenso als Blaupause wie die pointierte Weiterverbreitung des jüngsten Interviews mit dem Nachrichten-Portal Axios. Während der 37 Minuten offenbart Trump in puncto Coronavirus grobe Wissenslücken.
Zuletzt ist auch der preisgekrönte Drogen-Krimi-Autor Don Winslow als filmender Anti-Trumpianer auf den Plan getreten. Er nimmt tagespolitische Trump-Ereignisse auseinander. Sein Versprechen: „Am 3. November werfen wir die ekelhafteste Familie aus dem Weißen Haus, die dort je gelebt hat.“
Wahltag: Am 3. November soll trotz der schwierigen Corona-Lage gewählt werden – traditionell wird der US-Präsident alle vier Jahre immer am ersten Dienstag im November gekürt. Wer mitstimmen will, muss sich jedes Mal vorher registrieren. Diese Hürde lässt die Wahlbeteiligung massiv sinken. Die Amtseinführung des Wahlsiegers findet am 20. Jänner 2021 statt.
Drei Wahlduelle: US-Präsident Donald Trump und sein demokratischer Herausforderer Joe Biden werden am 29. September, am 15. und 22. Oktober gegeneinander antreten
Wahlberechtigte: 219 MillionenUS-Bürger dürften theoretisch wählen. Bedingung: Man muss über 18 Jahre alt sein und darf nicht vorbestraft sein. Knapp sechs Millionen Menschen haben in den USA wegen früherer Verurteilungen kein Wahlrecht mehr
Lippensynchronisation
Weil bewegte Bilder in Amerika viel Kraft gegen Trump entwickeln können, ist auch die Komikerin Sarah Cooper in wenigen Wochen zu landesweitem Ruhm gekommen. Die Afroamerikanerin hat sich auf der chinesischen Kurzvideo-Plattform Tiktok, die Trump verbieten lassen wollte, und in anderen sozialen Netzwerken Millionen Fans erarbeitet, seit sie millimetergenaue Lippensynchronisationen von Trump-Reden oder Interview-Schnipseln mit eigener Mimik und Gestik unterlegt. Durch die Parodien werden die von hohlen Superlativen durchseuchte Absurdität und der Grad der Desinformation der täglichen Trump-Dosis noch klarer.
Video-Gespräch mit KURIER-Los-Angeles-Reporterin Elisabeth Sereda
KURIER Talk mit Hollywood Reporterin Elisabeth Sereda
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