Notstand ausgerufen: Das Elend an der Grenze zu Mexiko
Oscar Leeser, das bestätigen Flüchtlingshelfer im texanischen El Paso, „ist kein Unmensch, der auf dem Rücken der Schwächsten Politik macht“. Und doch sah sich der demokratische Bürgermeister der Grenzstadt zu einer Maßnahme gezwungen, auf die man im Weißen Haus lieber verzichtet hätte: Er rief den Notstand aus.
Die über den Rio Grande kommenden Flüchtlinge aus Mexiko sind zu viele geworden – von über 2.000 Menschen pro Tag ist die Rede. Sie stammen aus prekären US-Hinterhofländern: Honduras, Nicaragua, Guatemala oder El Salvador. In Texas schlafen sie zu Hunderten auf dem Gehsteig, was angesichts der sinkenden Temperaturen Besorgnis erregt.
Trumps „Title 42“
Die Meinung, dass die Anzahl an Flüchtlingen nicht mehr zu bewältigen sei, wächst. Dabei könnte es noch schlimmer kommen. Am Mittwoch hätte „Title 42“ auslaufen sollen – eine von Ex-US-Präsident Donald Trump eingesetzte Verordnung, mit der Menschen an der Grenze sofort und ohne Asylgesuch zurück nach Mexiko geschickt werden können. Die Begründung? Sie kämen aus einem Corona-geplagten Land.
Seit 2020 wurde davon rund 2,5 Millionen Mal Gebrauch gemacht, Trump kritisierte man bei der Einführung als „inhuman“. Nachfolger Joe Biden hatte sich bei seinem Amtsantritt 2021 eine fairere Asylpolitik auf die Fahne geschrieben. Dass knapp zwei Millionen Abschiebungen auf seine Amtszeit entfallen, wird daher im linken Flügel seiner Demokraten scharf kritisiert.
Aus Regierungskreisen heißt es unterdessen, man wäre ohne „Title 42“ schon viel früher von Flüchtlingen überrannt worden. Die Republikaner werfen Biden an der Grenze Totalversagen vor. Neben Menschen kämen nämlich auch Drogen unkontrolliert in die USA.
Was, wenn die Verordnung fällt?
Nachdem ein Gericht das pandemische Sanktionsmittel also für unrechtmäßig erklärt und ein Auslaufen für den 21. Dezember angeordnet hatte, gingen entlang der Grenze die Alarmglocken los. Nach Schätzungen sitzen schließlich mehr als 50.000 Flüchtlinge in Mexiko auf gepackten Koffern. Fiele „Title 42“, heißt es in Washington, könnten die Grenzbehörden „schnell an ihre Kapazitätsgrenze gelangen“. In letzter Minute hat sich das Oberste Gericht eingeschaltet und angeordnet, dass „Title 42“ bis auf Weiteres nutzbar bleibt.
Das Weiße Haus bat am Dienstagabend darum, die Verordnung trotz der Probleme außer Dienst zu stellen, denn man versündige sich an internationalem Recht. Danach müsse Schutzsuchenden die Möglichkeit gegeben werden, ihr Asylgesuch zu stellen und bis zur richterlichen Klärung unter bestimmten Voraussetzungen in den USA zu bleiben. Es scheint allen beteiligten Parteien darum zu gehen, Zeit zu gewinnen.
Kein Ende in Sicht
Anfang Jänner wird Biden persönlich mit seinem mexikanischen Gegenüber Andrés Manuel López Obrador zusammentreffen. Zum x-ten Mal wird dann der Versuch unternommen, Mexiko dazu zu bewegen, die Flüchtlings-Kohorten aus dem Süden nicht mehr gen Norden durchzulassen. Unter Trump hieß das Programm „Remain in Mexico“. Migranten mussten in Mexiko auf den Ausgang ihres Asylverfahren warten.
Drogen-Kartelle und andere kriminelle Banden nutzten das brutal aus, darum wurde es abgeschafft. Ohnehin war Druck der Armutsflüchtlinge, die zuletzt verstärkt aus Venezuela, Kuba und Haiti kamen, zu groß, um wirklich etwas zu bewegen. Unterdessen wird das Rumoren auch weit abseits der Grenze immer lauter. Städte wie New York haben längst die weiße Fahne gehisst. Sie kommen mit den aus dem Süden per Bus geschickten Flüchtlingskontingenten nicht mehr klar. Notunterkünfte müssen regelmäßig erweitert werden. Die Kosten laufen davon. Präsident Biden steckt in der Zwickmühle. Ein Ende des Elends an der Grenze ist nicht in Sicht.
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