Wo das Coronavirus nicht das größte Problem ist
Waffenruhe im Jemen, gemeinsame Patrouillen von türkischen und russischen Soldaten in Syrien – auf den ersten Blick scheint es, als ob das Coronavirus zumindest auf die blutigen Kriege unserer Zeit einen positiven Einfluss hätte.
Doch nur auf ersten Blick. Kurze Zeit, nachdem Saudi-Arabien und seine Verbündeten eine zweiwöchige Waffenruhe im Jemen verkündet hatten – sie soll ab Mitternacht gelten – beschossen Houthi-Rebellen die Hafenstadt Hodeida mit Raketen.
Bislang hatte es vonseiten der Rebellen noch keine Bestätigung gegeben, auf die saudisch verkündete Waffenruhe einzugehen. Dass der seit Jahren schwelende Konflikt, in dem mehr als 100.000 Menschen ums Leben kamen, tatsächlich durch die Coronakrise beendet werden könnte, damit rechnet niemand.
Misstrauen dominiert
Auch in Syrien geht der Krieg weiter, wenn auch an anderen Fronten. In Idlib herrscht seit Anfang März eine Waffenruhe, die weitgehend eingehalten wird. Beide Seiten verstärken jedoch ihre Stellungen – zu groß ist das Misstrauen zwischen dschihadistisch dominierten Rebellen und den Regierungstruppen. Russisch-türkische Patrouillenfahrzeuge werden von der Bevölkerung in Idlib mit Steinen beworfen.
Zu Gefechten kommt es derzeit vor allem im Südosten des Landes, wo die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) wiedererstarkt. Nach wie vor haben die Dschihadisten viele Geldmittel zur Verfügung, die Organisation ist in viele einzelne Zellen unterteilt, die an verschiedenen Orten zuschlagen, Regierungssoldaten und Zivilsten töten. Rund 2.000 Kämpfer sollen nach wie vor in Syrien und im Irak aktiv sein, erst vergangene Woche konnten einige IS-Kämpfer aus ihren Gefängnissen in Nordsyrien entkommen.
Kämpfe vor den Toren Europas
Ebenso ist der IS in Libyen aktiv – wenn auch längst nicht mehr so stark wie früher. Den dortigen Bürgerkrieg dominieren die sogenannte Einheitsregierung, die sich hauptsächlich auf die UNO und islamistische Milizen stützt und die „Libysche Nationale Armee“, angeführt von General Khalifa Haftar. Beide Seiten kämpfen seit Wochen umso erbitterter, da beide glauben, knapp vor dem Sieg zu stehen.
Unterstützt von vielen anderen Ländern – darunter Russland, Türkei, Frankreich oder Italien – werfen sie immer mehr Material in die Schlacht. Auf beiden Seiten sollen sich mittlerweile syrische Söldner befinden.
Zu den Feinden auf dem Schlachtfeld kommt das Coronavirus – und das ist zumindest in Libyen derzeit die einzige Chance auf Waffenstillstandsgespräche. Beide Seiten haben ihre eigenen staatlichen Institutionen, nur bei einer haben sie sich auf einen Kompromiss geeinigt: dem Nationalen Zentrum für Krankheitskontrolle.
Sollte – so der renommierte Libyen-Experte Wolfgang Pusztai – diese Institution mit UN-Hilfe Maßnahmen setzen, könnten sich beide Seiten auf den Kampf gegen das Coronavirus besinnen. Derzeit bleibt es ein Hoffnungsschimmer.
Kaputte Gesundheitssysteme
Im Bereich der Gesundheitsversorgung sind sowohl der Jemen als auch Syrien vollkommen ausgeblutet: 70 Prozent aller Ärzte sind laut der Weltgesundheitsorganisation aus Syrien geflohen, ein Gesundheitssystem ist quasi nicht mehr vorhanden. Offiziell sind 19 Menschen infiziert, zwei gestorben – die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein.
Noch härter dürfte es den Jemen treffen, in dem allein zwischen 2015 und 2018 120 medizinische Einrichtungen attackiert wurden, derzeit kommen auf 10.000 Menschen zehn Personen, die im Gesundheitssektor tätig sind.
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