Coronavirus: Könnte die US-Präsidentschaftswahl abgesagt werden?
Die USA hatten sich auf ein besonders bewegtes Jahr eingestellt - und auf ein großes Thema: die Präsidentenwahl im November. Das Jahr ist ohne Zweifel bewegt, doch das Thema ist nun ein anderes. Die Corona-Pandemie setzt der Welt zu, den USA und ihrem Präsidenten im Besonderen. Das Wahljahr ist komplett aus den Angeln gehoben. Und das Coronovirus könnte Donald Trump politisch gefährlich werden.
Verschobene Vorwahlen
Im März und April hätten diverse Vorwahlen angestanden. Doch wegen der Ausbreitung des Coronavirus haben mindestens elf Bundesstaaten ihre Vorwahlen bereits verschoben: Connecticut, Delaware, Georgia, Indiana, Kentucky, Louisiana, Maryland, Ohio, Pennsylvania, Rhode Island und New York. Andere Bundesstaaten haben ihre Briefwahlfristen verlängert - auch das verzögert den Prozess. Mehrere Vorwahlen sind nach jetzigem Stand auf den 2. Juni verlegt. Wenn es dabei bleibt, wäre jener Juni-Dienstag noch mal eine Art kleiner "Super Tuesday".
Abgesagte Auftritte
Wie das restliche öffentliche Leben in den USA ist auch der Wahlkampf komplett zum Erliegen gekommen - zumindest in der analogen Welt. Kundgebungen machen Trump und seine potenziellen Herausforderer von den Demokraten, Joe Biden und Bernie Sanders, schon seit Wochen nicht mehr. Ob die nächste TV-Debatte zwischen Biden und Sanders, die für April geplant war, überhaupt stattfindet, ist unklar. Auch die Organisatoren des großen Nominierungsparteitags der Demokraten im Sommer beraten bereits über Notfallpläne - falls das Treffen nicht wie geplant Mitte Juli abgehalten werden kann.
Könnte die Wahl ganz verschoben werden?
Das wäre extrem schwierig. Der Wahltermin ist gesetzlich festgelegt. Also wäre eine Änderung durch den US-Kongress nötig, die noch dazu vor Gerichten angefochten werden könnte. Außerdem wären auf diesem Weg nur einige Wochen zu gewinnen. Denn der weitere Zeitplan ist sogar in der Verfassung festgeschrieben und damit noch starrer: der Starttermin für den neuen Kongress am 3. Jänner und der Amtsantritt des Präsidenten am 20. Jänner.
Auf jeden Fall kann der Präsident nicht aus eigener Kraft eine Verschiebung der Wahl durchsetzen, falls er das wollte oder es ihm opportun erschiene. Bisher hat auch noch keine prominente Stimme danach gerufen. Biden sagte kürzlich: "Wir haben mitten in einem Bürgerkrieg gewählt. Wir haben mitten im Ersten und Zweiten Weltkrieg gewählt." Für ihn stehe eine Verschiebung der Wahl daher außer Frage. Allerdings sind in der Corona-Krise schon ganz andere sicher geglaubte Dinge ins Wanken geraten.
Virtueller Wahlkampf
Die Präsidentschaftsanwärter setzen vorerst komplett auf Wahlkampf in der virtuellen Welt - und auf das neue Mono-Thema.
Sanders absolviert einen digitalen Corona-Auftritt nach dem anderen. Er entwickelte diverse virtuelle Formate, diskutiert in Online-Runden aus der Ferne mit anderen Politikern und Experten über das Thema, macht virtuelle Kundgebungen mit Gastauftritten zugeschalteter Musiker und Künstler, sendet mit gebotener sozialer Distanzierung Videobotschaften von einer Wiese in seiner Heimat Vermont, macht Live-Chats aus seinem Wohnzimmer, gibt von dort aus Interviews und hat - in Anlehnung an den Präsidenten - im Netz seine eigene "Ansprache an die Nation" zur Krise gehalten.
Nachzügler Biden
Biden tat sich dagegen schwerer mit der Anpassung an die neue Realität. Erst war er über Tage abgetaucht, erkannte dann aber auch, dass er vorkommen und das Coronavirus zum Solothema machen muss. Inzwischen hat auch Biden bei sich daheim in Delaware eine Art improvisiertes Fernsehstudio eingerichtet, von wo aus er Interviews gibt, virtuelle Pressekonferenzen vor dem Bücherregal abhält oder Videobotschaften aufnimmt.
Der omnipräsente Präsident
Allerdings haben es Biden wie Sanders schwer, gegen den allgegenwärtigen Präsidenten durchzudringen, der in der Krise täglich längliche Pressekonferenzen abhält und nach anfänglichen Beschwichtigungsversuchen auf Hyperaktivität umgeschaltet hat. Gerade erst hat Trump das größte Konjunkturpaket aller Zeiten unterzeichnet, um die schwerleidende US-Wirtschaft zu stützen.
Die Gegenmaßnahmen der Regierung dominieren die Nachrichten, nicht die Vorschläge von Trumps möglichen Herausforderern. Außerdem haben Biden und Sanders den Balanceakt zu bewältigen, Trumps Kurs zu kritisieren, ohne einen Präsidenten inmitten einer nationalen Krise zu sehr anzugreifen.
Ausgebremstes Rennen
Das Vorwahl-Rennen zwischen Biden und Sanders steht still. Biden liegt nach jetzigem Stand zwar weit vorne, hat aber noch nicht die nötige Mehrheit von 1991 Delegierten für den Nominierungsparteitag der Demokraten zusammen. Solange ihm die fehlt und Sanders weiter dabei ist, gilt das Rennen als offen. Und in den nächsten Wochen tut sich erst einmal nichts. Die Coronakrise, die das Thema Gesundheit dauerpräsent macht, ist vielleicht der einzige Grund, warum Sanders noch nicht ausgestiegen ist - in der Hoffnung, dass er hier punkten kann. Eine Krankenversicherung für alle ist Sanders' Herzensanliegen. Aber sehnt sich ein Land in einer Zeit, in denen eine dramatische Gesundheitskrise die Welt erschüttert, ausgerechnet nach einer gesundheitspolitischen Revolution?
Trumps Wiederwahl-Argument
Vor der Corona-Krise warb Trump vor allem mit einem Argument um seine Wiederwahl: Der Präsident rühmte sich fast täglich mit der boomenden US-Wirtschaft und einem vor Kraft strotzenden Aktienmarkt. Doch nun sind Börsen und Wirtschaft wegen der Pandemie im Sinkflug. Terroranschläge oder Kriege können Wahlen in letzter Minute drehen - nun ist eine andere Katastrophe ähnlicher Größenordnung eingetreten.
Krisenmanager Trump
Derzeit versucht Trump, sich als Macher und Krisenmanager in Szene zu setzen. Nicht ohne Erfolg: Eine Mehrheit der Amerikaner befürwortet laut einer aktuellen Umfrage der "Washington Post" und des Senders ABC Trumps Umgang mit der Krise. Seine Zustimmungswerte insgesamt stiegen demnach auf den höchsten Wert in der regelmäßigen Umfrage dieser beiden US-Medien: 48 Prozent äußerten sich positiv darüber, wie Trump seine Aufgaben als Präsident bewältigt, 46 Prozent negativ. Dass die Amerikaner ihren jeweiligen Präsidenten in Zeiten nationaler Krisen stärker unterstützen, ist nicht ungewöhnlich. Doch es muss sich zeigen, wie lange dies anhält. Denn es scheint, als habe die schlimmste Phase der Corona-Pandemie in Amerika gerade erst begonnen.
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