Infizierte in Israel werden digital überwacht
Mitten in Tel Aviv: Szenen wie aus einem Zombie-Film, mit Polizisten in Schutzkleidung, die Passanten kontrollieren und Ansammlungen von mehr als zehn Personen auflösen. Es kam auch schon zu Festnahmen von Menschen, die ihrer Pflicht zur Heimquarantäne wiederholt nicht nachkamen. Seit Dienstag geht es noch drastischer, wenn auch nicht so augenfällig: Ohne parlamentarische oder richterliche Zustimmung erweiterte der gegenwärtig nur im Übergang regierende Premier Benjamin Netanjahu die Notstandsmaßnahmen – auf die digitale Überwachung von Corona-Infizierten und allen, die mit ihnen in Kontakt waren.
„Ich weiß, dass dies ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre dieser Menschen ist“, wusste Netanjahu noch am Sonntag selbst, „doch kämpfen wir gegen einen Feind, einen unsichtbaren Feind.“ Ein Radio-Moderator: „Antiterror-Methoden zur medizinischen Anwendung“.
Ein erster Versuch dazu scheiterte noch am Montag im parlamentarischen Ausschuss für Geheimdienst-Angelegenheiten der alten Knesset, dem israelischen Parlament. In der Nacht darauf beschloss dann das Kabinett im Alleingang die digitale Verfolgung von Infizierten über die Satelliten-Ortung der Smartphones, Telefonatlisten und Kreditkartenzahlungen. Die Daten sollen zum Informieren von Betroffenen genutzt werden. Wer mit Infizierten oder Verdachtsfällen in Kontakt kam, wird per SMS angewiesen, sich unverzüglich in Quarantäne zu begeben.
60 Tage nach Ende des Notstandes sollen die gesammelten Daten gelöscht werden. Rechtsberater Avichai Mandelblit segnete den umstrittenen Beschluss aus „Dringlichkeitsgründen“ ab. Netanyahu: „Wir sind eines der wenigen Länder, die dazu technisch fähig sind, und wir müssen alles tun, weitere Ansteckungen zu verhindern.“ Im Corona-Jargon ist von „Ansteckungsrouten“ die Rede.
„Zynische Ausnutzung“
Mosche Yaalon, ein führender Oppositionspolitiker, sprach dagegen von „zynischer Ausnutzung der Corona-Krise zu persönlichen Zwecken eines Angeklagten kurz vor seinem Prozess“. Er meinte damit auch den vorläufigen Aufschub des Gerichtsverfahrens wegen Korruption und Betrugs gegen Netanjahu infolge der Corona-Krise.
Noch-Oppositionschef Benny Gantz übte ebenfalls Kritik: „Beschlüsse solcher Tragweite sind nicht als Überraschungscoup zu fällen.“ Die regierungskritische Zeitung Haaretz schrieb von einer „Gefahr für die Bürgerrechte“ und einer auffallende Über-Eile der Regierung. Nur Stunden später hätte ein neuer Ausschuss der neuen Knesset gebildet werden können. Auch ein Antrag auf Anhörung der Datenschutz-Behörde wurde vom Kabinett ignoriert. „Da wurden Parlament und Gerichte gezielt umgangen.“
Die Schließung von Schulen und Arbeitsplätzen führte indes in den vergangenen Tagen ausgerechnet wieder zu Menschenansammlungen auf öffentlichen Spielplätzen, am Strand, in Synagogen. Auch eine Disco öffnete ihre Pforten. Trotz Verbots. Fazit der Zeitung Yedioth: „Letztlich wird die Ausgangssperre kommen.“
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