Coronavirus in Italien: „Unterschätzen wir die Situation immer noch?“
Die unterschriebene Genehmigung hat Dagmar immer dabei. Die 36-jährige Österreicherin wohnt in Ancona, wo wie in ganz Italien eine Ausgangssperre herrscht. In die Arbeit, zum Einkaufen, Bank, Post und zu wichtigen Arztterminen darf man gehen.
Doch das Formular 314 muss man immer unterschrieben dabei haben. Das wird auch kontrolliert. Umwege sind nicht erlaubt. Nicht jeder hält sich daran.
Dagmars Arbeit ist nicht von den Schließungen betroffen. Sie geht jeden Tag ins Büro. „Alles, was nicht von zu Hause aus möglich ist, erledige ich im Eiltempo“, schreibt sie dem KURIER, Gespräche mit Kollegen hält sie kurz – und mit Abstand.
Was sie beängstigend findet, sind eMails von Geschäftspartnern aus China. Sie haben gehört, dass die Situation in Europa schlimm ist, raten dringend, sich an die Regeln zu halten und Schutzmasken zu tragen. „Unterschätzen wir die Situation vielleicht immer noch?“, fragt sich Dagmar, die seit Tagen außer im Büro und Lebensmittelgeschäft ausschließlich in ihrer Wohnung ist.
Einkaufen war diesmal ihr Freund. In der Schlange vor dem Geschäft war er der einzige ohne Maske und Handschuhe. In die Läden werden immer nur ein paar Menschen gelassen. Drinnen muss man Handschuhe tragen, zügig die Einkäufe erledigen und danach ohne Umweg nach Hause gehen. Hände desinfizieren, Obst und Gemüse sofort waschen.
Auch in Italien herrscht – wie in Österreich – Unsicherheit, ob man noch spazieren gehen darf. Laut Innenministerium ist es nicht verboten, aber nicht erwünscht. Wer raus muss, bitte nur kurz.
Im Krankenhaus
Maria (die nicht so heißt, aber anonym bleiben will) appelliert an die Menschen, sich an die Regeln zu halten. „Bleibt zu Hause. Wir medizinisches Personal können nicht.“ Sie geht arbeiten, in der Angst, mit ihrem Job auf der Intensivstation des größten Krankenhauses in der Region Marken ihre Familie einem Risiko auszusetzen.
Ein italienischer Sender zeigte Bilder von beatmeten Menschen, die teilweise auf der Brust liegen, damit ihre Sauerstoffsättigung ansteigt. Das Personal trägt weiße Schutzanzüge. Die Kapuze reicht weit ins Gesicht, der Mund ist mit einem Mundschutz bedeckt, die Augen mit einer Schutzbrille.
Die Männer und Frauen in den italienischen Intensivstationen arbeiten seit Wochen unter schwerster Belastung. Körperlich, weil sie wegen der hohen Anzahl an Erkrankten dreifach Schichten schieben müssen, wenig schlafen und selbst ständig dem Virus ausgesetzt sind, und psychisch, weil sie in manchen Fällen entscheiden müssen, ob sich eine Aufnahme des Patienten noch lohnt, weil dessen Überlebenschancen zu gering sind.
„Vor einigen Wochen war das noch unvorstellbar“, berichtet Maria. Doch plötzlich sei ihr Leben „zur Nebensache geworden“. „Mein Sohn weiß, dass ich arbeite, weil ich den Menschen helfen muss.“
Warum er seine Mama derzeit kaum zu Gesicht bekommt, versteht er nicht. Stattdessen steht Maria täglich stundenlang an den Betten schwerkranker Coronainfizierter.
„Mit den Schutzanzügen riskieren wir schon nach drei Stunden zu dehydrieren. In meiner letzten Schicht habe ich nach neun Stunden zum ersten Mal getrunken.“ Öfter trinken oder auf die Toilette gehen ist nicht drin – die medizinischen Einwegartikel sind knapp.
Mittlerweile werden sie wieder aus China nachgeliefert. „Kein Gesundheitssystem der Welt wäre dem gewachsen“, sagt ein italienischer Rot-Kreuz-Mitarbeiter.
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