Corona-Sonderweg: Warum die schwedische Strategie baden ging
„Ich habe das Vertrauen in die schwedische Gesellschaft verloren“, sagt Isabelle Schamschula und seufzt. Die 47-jährige Kärntnerin lebt seit 12 Jahren in Schweden, 25 Kilometer südlich von Göteborg.
Doch obwohl es ihr dort immer noch gefällt, trägt sich Schamschula seit kurzer Zeit mit dem Gedanken, wieder in die alte Heimat zurückzukehren – ebenso ergeht es vielen anderen Exil-Österreichern, wie die Tierärztin dem KURIER berichtet. Der Grund ist der Umgang der schwedischen Regierung mit der Corona-Pandemie.
Vernunft und Eigenverantwortung?
Deren Strategie basiert bekanntlich auf Vernunft und Eigenverantwortung. Schul-Oberstufen und Unis wurden zwar geschlossen, auf einen totalen Lockdown wurde aber verzichtet – was im Rest Europas mit viel Skepsis, aber auch mit Interesse verfolgt wurde.
Würden die Schweden es schaffen, ohne Geschäftssperren, Ausgangsbeschränkungen und Maskenpflicht die Krise zu überstehen – menschlich und wirtschaftlich? Nach einem ersten, flüchtigen Blick könnte die Antwort Ja lauten.
Die Infektionszahlen sinken in Schweden wie auch in vielen Ländern, die einen Lockdown hatten – was der Chefepidemiologe und Architekt der schwedischen Strategie, Anders Tegnell, gerne betont. Und auch die Zahl der Menschen, die auf Intensivstationen liegen, und die Zahl der Toten sind rückläufig.
Die Wirtschaft wurde zwar durch den Lockdown in anderen Staaten hart getroffen, da Schweden ein Exportland ist, das BIP schrumpfte im zweiten Quartal um 8,6 Prozent und damit so viel wie seit 40 Jahren nicht. Im Vergleich etwa zu Österreich, dessen Minus 10,7 Prozent beträgt, kam Schweden aber glimpflich davon.
Das große ABER ist das menschliche Leid, das der Verzicht auf einen Lockdown bedeutet. Bei einer Einwohnerzahl von knapp über 10,1 Millionen Menschen erkrankten bisher laut offiziellen Zahlen mehr als 83.000 an Covid-19, knapp 5.800 Menschen starben. In Österreich mit seinen gut neun Millionen Einwohner gab es bisher rund 22.400 bestätigte Fälle, 724 Menschen starben.
Ziel verfehlt
Die Toten in Schweden waren größtenteils weit über 70 Jahre alt. Das Land hat damit sein Ziel, die besonders verletzliche Personengruppe der Pensionisten zu schützen, während die übrige Bevölkerung nur wenig eingeschränkt wird, klar verfehlt.
Es gab und gibt zwar Besuchsverbote in den zuletzt zunehmend privatisierten Alten- und Pflegeheimen, es gab dort und in der mobilen Altenpflege aber große Versäumnisse, wie selbst Tegnell vor kurzem einräumte.
So berichteten zahlreiche Angehörige von Pflegern, die entgegen der Empfehlung keinen Mundschutz trug. Die Regierung von Ministerpräsident Stefan Löfven hat eine Untersuchungskommission eingerichtet, die die Missstände aufarbeiten soll.
Was ist mit der Herdenimmunität?
Trotz der hohen Infektionszahlen ist Schweden von einer Herdenimmunität weit entfernt, auch wenn eine höchst umstrittene Studie eine solche jüngst für Stockholm behauptete. Die meisten seriösen Studien sehen die Zahl der Menschen in der besonders von Corona betroffenen Hauptstadt, die bisher Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickelt haben, bei maximal 10 Prozent.
Dazu kommt, dass bisher nicht klar, ist, inwieweit eine durchgemachte Erkrankung tatsächlich vor einer Neuansteckung schützt.
Dass die Infektions- und Todeszahlen in Schweden derzeit sinken, sehen Kritiker zudem keineswegs als Beweis, dass die schwedische Strategie am Ende doch aufgeht – die Tatsache könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass die Menschen sich im Sommer vermehrt draußen aufhalten und die Schulkinder Ferien haben.
Darüber hinaus war es nie so, dass sich die Schweden an keine Sicherheitsmaßnahmen gehalten hätten. Verboten sind Ansammlungen von mehr als 50 Personen, weshalb die meisten Kinos und Theater zusperren mussten; die Menschen halten aber großteils freiwillig Abstand.
"Sehr obrigkeitshörig"
Im Vergleich zum Beginn der Pandemie sehe man heute auch mehr Masken, berichtet Schamschula. Die meisten Schweden seien aber weiter „sehr obrigkeitshörig“, was sie wütend mache.
Ein Großteil halte sich an die Meinung des Chef-Epidemiologen Tegnell, der Masken für nicht sinnvoll hält – da könne es schon einmal passieren, dass Maskenträger in Bussen aufgefordert werden, den Schutz abzunehmen, da sie damit „Angst verbreiten“ würden.
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