Hat die schwedische Hauptstadt die sogenannte Herdenimmunität gegen das Virus SARS-CoV-2 erreicht? Dies behauptet jedenfalls Johan Carlson, Generaldirektor des schwedischen Gesundheitsamts, in der Zeitung Dagens Nyheter vom Freitag. „Vierzig Prozent der Stockholmer können gegen das neue Coronavirus immun sein“, sagte Carlson.
20 Prozent haben Antikörper
Die Behörde geht davon aus, dass 17,5 bis 20 Prozent der Bewohner im Raum Stockholm Antikörper gebildet haben. Gleichzeitig hätte, so eine Studie, eine etwa gleich große Bevölkerungsgruppe mittels T-Zellen, einer Sorte weißer Blutkörperchen, eine Immunität entwickelt. Ob man damit gegen eine erneute Coronavirus-Infektion immun ist, dafür gibt es nach jetzigem Forschungsstand aber keinen Beweis.
Die Pandemie hat den Raum Stockholm besonders hart getroffen – hier wurden 22.467 der landesweit bisher 77.281 Fälle registriert und 2.372 der insgesamt 5.619 Todesfälle (Stand Freitag) beklagt. Im restlichen Schweden, glaubt Carlson, könnte eine zwanzigprozentige Immunität erreicht sein.
Schwedische Rechenart
Die Herdenimmunität gilt als eine Phase, bei der ein größerer Teil der Bevölkerung schon angesteckt wurde, wodurch die Verbreitung des Virus vermindert wird und die restliche Bevölkerung relativ geschützt ist. Herdenimmunität bei Corona wird bei bisherigen Modellen bei 60 bis 70 Prozent erreicht, seit Mai bezieht sich das schwedische Gesundheitsamt jedoch auf die Berechnungen des Stockholmer Mathematikers Tom Britton, der sie bei 40 bis 45 Prozent realisiert sieht.
"Enorm positiv"
Das Gesundheitsamt sieht sich durch die aktuelle Studie zu Stockholm bestätigt. Seit vier Wochen wurden dort 100.000 kostenlose Antikörpertests durchgeführt. Das Resultat sei „enorm positiv“. Schweden sei dadurch besser als andere Länder für eine zweite Welle vorbereitet.
Schweden setzte von Beginn an auf das Konzept eines Herdenschutzes – auch wenn die Gesundheitsbehörden stets dementierten. Der beamtete Staatsepidemiologe Anders Tegnell empfahl der rot-grünen Regierung jedenfalls, nur geringe Maßnahmen wie die Schließung der oberen Schulstufen und der Universitäten, Grenzen für EU-Bürger, Geschäfte und Restaurants blieben stets offen.
Hohe Todeszahlen
Die Schattenseite dieses Sonderwegs sind die vergleichsweise sehr hohen Todeszahlen, vor allem bei Menschen über 60 Jahren. Trotz des großen menschlichen Leids liegt die Wirtschaft des Exportlandes am Boden. Schweden hat darum scharfe Kritiker in der Fachwelt im Aus- und Inland.
Und diese reagierten auf die frohe Botschaft von Johan Carlson am Freitag mit entsprechender Skepsis. Petter Brodin, Immunologe an der berühmten Karolinska-Universität in Stockholm, bezweifelt offen den Status der Herdenimmunität. Man könne kaum über die T-Zellen schließen, ob man die Infektion hatte oder nicht, erklärte der Mediziner der Zeitung Aftonbladet.
Kurzlebige Antikörper
Allgemein ist unklar, wie lange die Immunität nach einer Covid-19 Erkrankung anhält, ein neues Forschungsergebnis vom King's College in London gibt keinen Grund zu Optimismus – demnach sollen die Antikörper schon nach drei Monaten beginnen, abzusterben. Karin Tegmark Wisell vom schwedischen Gesundheitsamt geht von einer Immunität von einem halben Jahr aus. Die Medizinerin warnte ihre Landsleute, niemand solle glauben, er habe „einen absoluten Schutz“.
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