"Lage der EU": Von der Leyen fordert deutlich schärfere Klimaziele

"Lage der EU": Von der Leyen fordert deutlich schärfere Klimaziele
Die Kommissionschefin präsentiert ihre Lösungsvorschläge für die größten Probleme der EU. "Die Europäer leiden", sagt sie.

In ihrer ersten Rede zur Lage der Europäischen Union widmete sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mittwochfrüh als erstes den für sie größten Problemen der EU: Corona und Klimawandel.

"Die Menschen in Europa leiden immer noch", sagte sie zu Beginn ihrer Ansprache vor dem EU-Parlament mit Blick auf die Pandemie. "Es ist eine Zeit der Angst für Millionen, die sich Sorgen machen um die Gesundheit ihrer Familien, ihre Jobs oder einfach nur darum, wie sie es bis zum Ende des Monats schaffen." 

Reduktion um 55 Prozent

Von der Leyen sprach sich für mehr Macht und mehr Geld für die Europäische Union in Gesundheitsfragen aus. Konkret schlug die 61-Jährige eine neue EU-Agentur für biomedizinische Forschung und Entwicklung vor. Zudem drängte sie das Europaparlament, mehr Mittel für das Gesundheitsprogramm „EU4Health“ auszuhandeln. Grundsätzlich müsse man über die Zuständigkeiten in Sachen Gesundheit sprechen. 

In Bezug auf den Klimawandel forderte von der Leyen, die Treibhausgas-Emissionen der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. Das würde eine drastische Verschärfung des bisherigen EU-Klimaziels von minus 40 Prozent bedeuten.

Die Verschärfung auf „mindestens 55 Prozent“ soll laut von der Leyen helfen, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten und die gefährliche Überhitzung der Erde zu stoppen. Das neue Ziel muss aber in den nächsten Wochen noch mit dem EU-Parlament und den EU-Staaten geklärt werden.

"Gut für Europa"

Sie wisse, dass einigen diese Erhöhung des Einsparziels zu viel sei und anderen nicht genug, sagte von der Leyen. Doch habe die Folgenabschätzung der EU-Kommission eindeutig ergeben, dass die Wirtschaft und Industrie die Verschärfung bewältigen könnten.

Aus ihrer Sicht sei die Zielvorgabe ehrgeizig, machbar und gut für Europa, sagte von der Leyen.

Für die enormen nötigen Investitionen will von der Leyen das Corona-Wiederaufbauprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro nutzen. 30 Prozent dieser Summe, die die EU über gemeinsame Schulden finanzieren will, sollen aus „grünen Anleihen“ beschafft werden, kündigte die Kommissionschefin an.

Europäisches Geld soll laut EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor allem in Leuchtturm-Projekte mit größtmöglicher Wirkung investiert werden, um die Klimaziele zu erreichen - darunter Wasserstoff, Renovierung von Häusern und in eine Million Ladestationen für Elektrofahrzeuge. 

Gebäude, aus denen heute 40 Prozent der Klimagas-Emissionen stammen, sollten künftig nicht mehr so viel Energie verschwenden, sagte von der Leyen bei ihrer Rede zur Lage der EU. Künftig könnten sie mit kluger Technologie und Nutzung ökologischer Baustoffe wie Holz sogar CO2 aufnehmen. Nötig sei eine Renovierungswelle: „Deshalb werden wir ein neues europäisches Bauhaus errichten, einen Raum, in dem Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer gemeinsam und kreativ an diesem Ziel arbeiten.“

Migration, Russland, Brexit

Weitere Themen, die von der Leyen in ihrer Rede ansprach:  

Migration: Mit Blick auf die seit Jahren blockierte Reform der Asyl- und Migrationspolitik hat Ursula von der Leyen die EU-Staaten zur Kompromissbereitschaft aufgerufen. Die Bilder des abgebrannten Flüchtlingslagers Moria in Griechenland hätten „uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass Europa hier gemeinsam handeln muss“.

Am kommenden Mittwoch will die EU-Kommission neue Reformvorschläge vorlegen, über die EU-Staaten und Europaparlament dann verhandeln müssen. Darin werde ein „menschlicher und menschenwürdiger Ansatz“ verfolgt, sagte von der Leyen. 

Asyl- und Rückführungsverfahren sollten enger miteinander verknüpft werden, Schleuser stärker bekämpft und der Schutz der Außengrenzen forciert werden. Außerdem solle es engere Partnerschaften mit Drittländern geben, damit legale Wege in die EU für Migranten entstehen. Besonderen Applaus der Abgeordneten bekam sie für die Aussage, dass die Rettung von in Seenot geratener Migranten eine Pflicht sei.

Von der Leyen bekräftigte zudem, dass die EU-Kommission mit der griechischen Regierung an einem Pilotprojekt für ein neues Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos arbeite. Die EU könne bei Asylverfahren und Rückführungen helfen.

Russland: Von der Leyen warnte davor, die Ostsee-Erdgasleitung Nord Stream 2 als einen möglichen Beitrag zur europäisch-russischen Verständigung zu sehen. „Denjenigen, die engere Beziehungen zu Russland fordern, sage ich: Die Vergiftung von Alexej Nawalny mit einem hoch entwickelten chemischen Kampfstoff ist kein Einzelfall“, sagte sie. Das gleiche Muster habe man zuvor in Georgien und der Ukraine, in Syrien und Salisbury gesehen - und bei der Einmischung in Wahlen weltweit. „Dieses Muster ändert sich nicht - und keine Pipeline wird daran etwas ändern“, betonte von der Leyen.

Diskriminierung und Rassismus: Die Kommissionspräsidentin kündigte die Ernennung eines EU-Beauftragten für den Kampf gegen Rassismus an. So solle das Thema „ganz oben auf unserer Agenda gehalten werden“. Brüssel werde gegen jegliche Art der Diskriminierung vorgehen, „egal ob wegen Rasse, Religion, Geschlecht oder Sexualität“, so von der Leyen, die die USA als abschreckendes Beispiel nannte.

Mit Blick auf die Aktionen polnischer Gemeinden gegen Schwule und Lesben sagte von der Leyen: „Sogenannte LGBTQI-freie Zonen sind Zonen, in denen der Respekt vor Mitmenschen abhanden gekommen ist. Dafür gibt es in unserer Union keinen Platz.“ Sie werde sich vielmehr für eine Stärkung der Rechte Homosexueller einsetzen.

Brexit: Von der Leyen hält ein Handelsabkommen mit Großbritannien zum Ende der Brexit-Übergangsphase für immer weniger wahrscheinlich. „Mit jedem Tag schwinden die Chancen, dass wir doch noch rechtzeitig ein Abkommen erzielen“, sagte sie und protestierte gegen Pläne des britischen Premierministers Boris Johnson, Teile des bereits gültigen Brexit-Abkommens mit einem neuen britischen „Binnenmarktgesetz“ auszuhebeln.

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