Klimatisierte Besprechung drinnen, Unterdrückung und Zensur draußen
Die Abhaltung der Klimakonferenz in Ägypten gilt als umstritten angesichts der repressiven Politik, mit der Abdel Fattah al-Sisi das Land am Nil regiert.
Scharm el-Scheich ist auf der Karte nicht mehr erkennbar. Überlagert wird der ägyptische Urlaubsort am Südzipfel der Sinai-Halbinsel von kleinen, gelben Flugzeugen, die sich aufgeregt um den Austragungsort der COP27 tummeln. Die Staatsmedien feiern: Noch nie sind so viele Flugzeuge gleichzeitig in Ägypten gelandet.
Karten wie diese fand man in den vergangenen Tagen in den sozialen Medien zur Genüge. Die Skurrilität, die sie beschreiben, ist kaum übertreffbar: Über 90 Regierungschefs und 45.000 Delegierte, Lobbyisten und Beobachter fliegen, zum Teil in Privatjets, ins neu erbaute, vollklimatisierte "Tonino Lamborghini International Convention Center" ans Rote Meer, um über einen menschengerechten Kampf gegen die Klimakrise zu beraten, während draußen, bei 30 Grad im Schatten, der öffentliche Diskurs unterdrückt, regierungskritische Menschenrechtsorganisationen eingeschränkt und der Lebensalltag vom Militär streng kontrolliert wird.
"Greenwashing"-Vorwurf
Generell gilt die COP27 als umstrittener als viele bisherige Klimakonferenzen. Als "greenwashing" bezeichnete die Klimaaktivistin Greta Thunberg die Konferenz im Voraus, bei der es für die Zivilgesellschaft heuer "keinen Platz" gebe – die Regierung des autoritären Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi hat Proteste, einen wesentlichen Teil der Konferenzen, nur in gesonderten Zonen, abseits der Konferenz, erlaubt. Thunberg sagte ihre Teilnahme daher kurzerhand ab.
Was ist das für ein Land, in dem sich gerade hunderte Regierungschefs treffen, um die Klimaziele der kommenden Jahre zu verhandeln?
Die Antwort lässt sich festmachen am Beispiel des inhaftierten Menschenrechtlers Alaa Abd el-Fattah, eine wichtige Figur des Arabischen Frühlings 2011 in Ägypten: Der 40-Jährige kämpft seit Jahrzehnten für Freiheit und Menschenrechte in Ägypten, war bisher von jeder ägyptischen Regierung der vergangenen zwei Jahrzehnte ins Gefängnis gesperrt worden.
Seit 2019 sitzt Abd el-Fattah wieder in Haft, weil er "Falschinformationen" verbreitet haben soll. Seit mehr als 200 Tagen, rund sieben Monaten, ist er im Hungerstreik; seit Sonntag soll er auch kein Wasser mehr zu sich nehmen. Seine Schwestern vermuten, dass er mittlerweile zwangsernährt wird. Abd el-Fattahs Ziel: die globale Aufmerksamkeit der COP27 auf die repressive ägyptische Regierung zu lenken.
Charmeoffensive
Demokratie und Menschenrechte sind im 104 Millionen Einwohner Land am Nil stark eingeschränkt. Nach außen hin hat Präsident Abdel Fattah al-Sisi anlässlich der COP27 eine großangelegte Charmeoffensive gestartet, eine "nationale Menschenrechtsstrategie" erlassen und das "Jahr der Zivilgesellschaft" ausgerufen, nutzt die Konferenz wohl vorwiegend für wirtschaftliche Deals. Im offiziellen Werbevideo der COP27 ist etwa von der Müllverschmutzung des Nils oder dem drohenden Versinken aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels und der globalen Erwärmung Alexandrias, Ägyptens zweitgrößter Stadt, nichts zu sehen. Stattdessen sieht man junge, westlich aussehende Ägypter, die mit Elektro-Bussen fahren und Cappuccino aus biologisch abbaubaren Bechern trinken.
Nach innen hin geht Abdel Fattah al-Sisi, seit 2014 an der Macht, repressiv gegen die eigene Bevölkerung vor: Rede- und Meinungsfreiheit sind stark eingeschränkt, die Websiten von Organisationen wie Amnesty International oder Humans Watch, die Missstände im Land aufzeigen, nicht abrufbar. Inhalte, die als "politisch" relevant gelten, müssen von der Regierung vor Veröffentlichung abgesegnet werden. 60.000 politische Gefangene werden in Gefängnissen, weit außer Sichtweite der Besucher der Konferenz, unter brutalen Bedingungen und in überfüllten Zellen festgehalten.
Unzufriedenheit
Die Menschen auf den Straßen Scharm el-Scheichs und Kairos interessieren sich wenig für den Klimagipfel, erzählt eine Person vor Ort dem KURIER: "Die bekommen nichts mit von der Konferenz, und haben ganz andere Probleme: Die Preise sind hoch, Lieferungen dauern lang, und viele Menschen können deswegen vorübergehend nicht arbeiten."
Ägypten ist hoch verschuldet, 2021 hat die Staatsverschuldung rund 93,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Die Regierung ist auf internationale Unterstützung, Gelder und Kredite angewiesen ist.
Zwar ist der Brotpreis in Ägypten staatlich subventioniert – eine Lehre, die man aus dem Arabischen Frühling gezogen hat – doch andere Produkte sind spürbar teurer geworden. Die Inflation liegt derzeit bei 16 Prozent. Die Mittelschicht ist nur gering ausgeprägt, die Gehaltsschere enorm: Sehr wenige Menschen verdienen sehr viel, die meisten jedoch nur knapp über dem staatlichen Mindestlohn, der bei 2.700 EGP pro Monat lieg (etwa 108 Euro).
Die Missgunst in der Bevölkerung wächst. Für heute Freitag war in den sozialen Netzwerken von großen Protesten die Rede, vereinzelt wurde von einem zweiten 25. Jänner 2011 die Rede, dem Jahrestag der ägyptischen Revolution. Doch bis dato blieb es ruhig auf den Straßen. Immer wieder flammten in den vergangenen Jahren vereinzelt Proteste auf. Doch den Menschen fehle ein Gesicht, um den Unmut in einer Protestbewegung sammeln zu können, heißt es. Jung genug wäre die Bevölkerung jedenfalls für eine neue Revolution: 95 Prozent aller Ägypter sind unter 65 Jahre alt, 33 Prozent unter 14 Jahren.
Angesichts dieser Missstände bei Menschenrechten und Demokratie stellt sich die Frage: Ist die COP27 in Ägypten vertretbar?
"Gemeinsame Anstrengung"
Für Felix Butzlaff vom Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit von der WU Wien ist die Abhaltung der COP27 in Ägypten wichtig, wenn man global gegen die Klimakrise vorgehen will: "Hier geht es um eine internationale Politikanstrengung. Man versucht durch die Abhaltung der COP27 in Ägypten, den globalen Süden auch symbolisch an Bord zu bekommen. Nicht, weil er für die die Klimakrise verantwortlich ist, im Gegenteil, sondern weil diese Länder die Auswirkungen als Erstes spüren." Die Kosten, die entstünden, wenn nur die halbe Welt gegen die Klimakrise kämpfe, seien einfach zu groß. Deswegen müssten internationale Akteure auch verstärkt Druck auf die ägyptische Regierung ausüben, um eine demokratische Diskussion zu ermöglichen.
Wenn es keinen Protest von außen gibt, müsse er von innen, also den Konferenzteilnehmern selbst kommen. Sowohl die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland hatten in den vergangenen Tagen die Freilassung Abd el-Fattahs gefordert. Am Donnerstag folgten hunderte Delegierte dem Appell, sich aus Solidarität mit Abd el-Fattah weiß zu kleiden, und skandierten "Lasst ihn frei", und "Keine Klimagerechtigkeit ohne Menschenrechte".
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