Jemen stirbt den hässlichen Tod

Zuerst der Bürgerkrieg, dann die Hungersnot und jetzt Cholera.
Als hätte die jemenitische Bevölkerung nicht schon genug unter dem Bürgerkrieg gelitten, breitet sich nun auch noch der Cholera-Erreger aus. Bernadette Schober ist für "Ärzte ohne Grenzen" im Kriegsgebiet und fürchtet, dass die Zahl der Toten steigen wird.

Die Symptome setzen plötzlich ein: es beginnt mit sturzbachartigem Durchfall und Dauererbrechen. Der Körper trocknet aus, die Haut schrumpelt und färbt sich rotblau. Der Kranke wird von Krämpfen geschüttelt, das Herz schlägt schnell, der Puls vibriert. Das Gesicht ist eingefallen, die Augen eingesunken. Am Ende versagen die Organe und der Kreislauf bricht zusammen. Tot. "Cholera", so schrieb die deutsche Ärzte-Zeitung 1991, "das ist ein Tod, wie er hässlicher kaum sein kann."

Seit Ende April 2017 starben im Bürgerkriegsland Jemen knapp 1200 Menschen diesen Tod, rund 160.000 sind an dem Magen-Darm-Erreger erkrankt. Die Zahl wird weiter steigen, um das Doppelte vielleicht oder sogar um das Dreifache. Täglich kommen 3000 bis 5000 Fälle dazu, bis September könnten 300.000 Menschen infiziert sein, schätzen Hilfsorganisationen.

Dieser Meinung ist auch Bernadette Schober. Seit März ist sie für "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) im Bürgerkriegsland tätig und ahnte bereits, dass "etwas Größeres" auf die Bevölkerung zukommt. "Am Anfang sind am Land vereinzelt Cholera-Fälle aufgetreten. Aber plötzlich waren es Dutzende, dann Hunderte, jetzt Tausende", erzählt die gebürtige Oberösterreicherin. Der rasante Anstieg lässt sich in Zahlen ausdrücken: Von den insgesamt 42.000 Patienten, die MSF bisher medizinisch betreut hat, waren in den vergangenen zwei Wochen alleine 17.000 in Behandlung.

Jemen stirbt den hässlichen Tod

"Krankheit der Armen"

Die Epidemie traf die Jemeniten nicht unerwartet. Nach zwei Jahren blutigem Bürgerkrieg ist das Gesundheitssystem völlig kollabiert, zahlreiche Krankenhäuser wurden zerbombt, Gehälter werden seit Monaten nicht bezahlt. Hinzu kommt, dass zwei Drittel der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, es mangelt an Sanitäranlagen und in einigen Gebieten stapelt sich der Müll an den Straßenrändern, weil Benzin für die Transporter fehlt. Dadurch konnte sich die "Krankheit der Armen" im geschundenen Jemen rasant ausbreiten.

"Die Infrastruktur hat unter dem Bürgerkrieg extrem gelitten", sagt Schober, die Qualität der medizinischen Versorgung nehme täglich ab. Während in vielen Städten Krankenhäuser nicht funktionieren, stoßen andere Spitäler an ihre Grenzen. "Der Zuständigkeitsbereich einzelner Krankenhäuser wird immer größer", erklärt die MSF-Koordinatorin telefonisch aus einem Spital im Südwesten des Jemen. Bis ein Patient ins Cholera-Zentrum eingeliefert wird, können Stunden vergehen, teilweise sogar ein ganzer Tag. Aber wenn Infizierte nicht schnell genug behandelt werden, sterben sie.

Die meisten Erkrankten sind ohnehin schon geschwächt, weil sie zu wenig zum Essen haben. Viele Berichte deuten auf den Ausbruch einer Hungersnot hin. Mehr als sieben Millionen Menschen brauchen Nahrungsmittelhilfe, drei Millionen sind akut unterernährt, viele Kinder sterben - vor allem im Norden des Jemen, wo die Infektionskrankheit ebenfalls wütet. In der Hauptstadt Sanaa haben die Gesundheitsbehörden den Notstand ausgerufen und die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten.

Das "Armenhaus Arabiens" bekommt die schwere Cholera-Epidemie alleine nicht in den Griff.

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Cholera verursacht starken Durchfall und Erbrechen und ist besonders für Kinder, Alte und Kranke lebensbedrohlich.

Einfach zu behandeln

Gerade in Ländern, in denen die hygienischen Verhältnisse desolat sind, breiten sich die Bakterien sehr schnell aus. Im Südsudan, in Somalia oder in Haiti. Seit 2010 sind auf der Karibikinsel zwischen 8000 und 9500 Menschen an Cholera gestorben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) registrierte 2015 weltweit 170.000 Infizierte, davon starben 1300. Die Dunkelziffer ist allerdings weit höher, weil viele Länder Cholera-Fälle nicht melden. Experten schätzen, dass die Seuche jährlich zwischen 21.000 und 143.000 Menschen dahinrafft, 1,4 bis vier Millionen werden mit dem Virus angesteckt.

Dabei ist Cholera ziemlich einfach zu behandeln, sagt MSF-Mitarbeiterin Schober. Nur ein geringer Prozentsatz der Betroffenen müsste sterben, wenn der Flüssigkeitsverlust – bis zu 20 Liter täglich – durch kochsalz- und glukosehaltige Infusionen ausgeglichen wird. Die Erreger werden mit Antibiotika eliminiert. "Die Wahrscheinlichkeit, dass Erkrankte überleben, ist hoch. Wir hatten bisher zehn Todesfälle... bei über 3500 Patienten", verdeutlicht Schober. Wer bis ins Krankenhaus kommt, überlebt.

Besonders überfüllte Gebäude schaffen perfekte Brutstätten für die Cholera-Erreger. Dominik Stillhart, Einsatzleiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), erklärte kürzlich, dass er sich um das Hauptgefängnis in Sanaa große Sorgen mache. "Es ist schmutzig, feucht und gerammelt voll. Es sind Cholera-Fälle aufgetreten, sie werden nicht die letzten sein."

Wie auch Schober verlangt Stillhart, dass die internationale Gemeinschaft mehr für die Infrastruktur tun muss, für die medizinische Versorgung und für sanitäre Anlagen. Aber wegen der geringen öffentlichen Aufmerksamkeit fehlt es vermutlich am entsprechenden Druck auf die Konfliktparteien, um entsprechende Hilfe zuzulassen.

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Extremisten profitieren vom Chaos

Seit Anfang 2015 kämpfen schiitische Huthi-Rebellen gegen die Truppen von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi. Fremde Mächte mischen freilich mit. Saudi-Arabien will die Rebellen niederkämpfen, die man als verlängerten Arm seines schiitischen Erzfeindes Iran ansieht. Saudische Kampfjets bombardieren Wohnviertel, Spitäler, Schulen und Märkte - die Waffen stammen zumeist aus den USA und Großbritannien. Hauptprofiteure des Chaos sind die Extremisten von Al-Kaida und vom "Islamischen Staat", die große Landstriche im Jemen einnehmen konnten.

Der Bürgerkrieg, der von der Welt übersehen wird, eskaliert. Millionen Menschen stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Und jetzt noch die Cholera. Es gebe auf der Welt für Kinder derzeit vermutlich keinen schlimmeren Ort als den Jemen, um aufzuwachsen, sagt UNICEF-Direktor Geert Cappelaere.


Hinweis des Autors: Ich kann leider nicht auf alle Kommentare antworten. Wir können aber gerne über das Thema des Artikels ("Bürgerkrieg, Hungersnot und Cholera im Jemen") diskutieren. Sie erreichen mich unter der E-Mail-Adresse juergen.klatzer@kurier.at.

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