Jemen: Hintergrund des vergessenen Krieges

Rebellen eines Stammes, der an der Seite der Huthis gegen Jemens Regierung kämpft.
Wissenschafterin Marieke Brandt präsentiert ihr Projekt über die Huthis, die gegen die Regierung kämpfen.

Wer sind die Huthis? Marieke Brandt ist eine der wenigen, die diese Frage beantworten kann. Die deutsche Wissenschafterin, die seit 2011 am Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) arbeitet, ist auf die Stammesgesellschaft des nördlichen Jemen spezialisiert.

Obwohl der Nordjemen jahrelang von blutigen Konflikten erschüttert wurde, ließ sich Brandt nicht von ihren Feldforschungen abhalten. Sie gewann tiefe Einblicke in die Huthi-Bewegung, die heute weite Teile des Jemen kontrolliert, und ist mit vielen Stammesführern per du. Deren Rolle im Huthi-Konflikt hat sie im Rahmen eines Marie-Curie-Forschungsstipendiums untersucht.

KURIER: Was hat Sie in die Krisenregion verschlagen?

Marieke Brandt: Touristisches Interesse. Das war 1997. Ich war sehr beeindruckt – von der Schönheit der Landschaft und weil die Menschen so freundlich waren. Dann begann ich, mich zu informieren und stellte fest, dass an der ÖAW schon seit mehr als 100 Jahren zum Jemen geforscht wird. (Der Jemen-Forschungsschwerpunkt des Instituts für Sozialanthropologie wird von einem siebenköpfigen Forschungsteam unter der Leitung von Andre Gingrichs betrieben.)

Worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt?

Ich beschäftige mich genau mit jenem Problem, das jetzt im Jemen schlagend geworden ist – mit den Huthi-Rebellen. Diese Gruppe stammt aus dem Norden des Jemen, der bisher kaum erforschten Region Sa’da. Seit 2004 haben sie gegen den jemenitischen Staat Krieg geführt, 2011 begann der Arabische Frühling, der auch zur Abdankung des alten Präsidenten Ali Abdullah Saleh führte, dessen Posten auf Interimspräsident Abd Rabbo Hadi überging.

In diesem Machtvakuum haben es die Huthis geschafft, sich enorm auszubreiten. Im September 2014 haben sie sogar die Hauptstadt Sanaa besetzt, die Interimsregierung vertrieben. Der Interimspräsident Hadi floh nach Aden. Die Huthis hinterher. Hadi rettete sich nach Saudi Arabien und rief die arabischen Staaten auf, dafür zu sorgen, dass er wieder als legitimer Präsiden installiert wird. Daraufhin begannen die Saudis, die Huthis zu bekämpfen. Doch die Huthis sind weit verstreut, das Land ist enorm zerstört. Der Jemen ist ohnedies eines der ärmsten Länder der Welt und dieser Luftkrieg droht sie in die Steinzeit zurückzuwerfen.

Ich erforsche, wie diese Rebellengruppe entstanden ist und was dazu führte, dass sie so stark geworden ist. Wie konnte es passieren, dass eine Rebellion in einem kleinen Bergdorf in den Folgejahren den ganzen Jemen überziehen konnte?

Haben Sie schon erste Antworten? Sie sagen ja, dass es zu kurz greift, die derzeitige Krise im Jemen allein als einen religiösen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten darzustellen.

Jemen: Hintergrund des vergessenen Krieges
Die Sozialanthropologin Marieke Brandt bei Feldforschung im Jemen
Stimmt. Vor der Revolution 1962 war der Jemen ein Königtum, ein Imam herrschte, die Herrschaftselite bestand aus Schiiten, und jene Gegend im Norden, in der später die Huthis entstanden, war eine wichtige Region. Nach der Revolution wurde die Republik gegründet. Die Region im Norden, die bisher großen Einfluss auf den ganzen Jemen hatte, ist vollkommen marginalisiert worden. Nicht nur religiös – die Schiiten wurden stigmatisiert–, sondern auch wirtschaftlich, politisch und sozial. Einige Jahrzehnte ging das gut. Dann hat Saudi-Arabien angefangen, die Ausbreitung der saudischen Form des Islam im Jemen zu unterstützen. Dieser Wahhabismus ist eine Form des Salafismus. Und wie alle Radikalen können die Salafisten keinen anderen neben sich bestehen lassen. Nur ihre eigene Doktrin ist die richtige, alle anderen sind Ungläubige, also auch die Schiiten.

Diese extreme Form hat die Schiiten, die vorher recht tolerant waren, radikalisiert – um der Bedrohung durch den Salafismus etwas entgegenzusetzen. Im Grund ist das Problem erst dadurch entstanden.

Gab es einen Gründervater für die Huthis?

Die Huthis haben ihren Namen von der Familie al-Huthi. Das ist eine sehr alte Familie von Gelehrten, sie sind vor tausend Jahren zugewanderte Haschemiten, stammen vom Propheten Mohammed ab und unterscheiden sich von den Stämme im Jemen. Letztere haben die haschemitischen Familien in ihrer Mitte aufgenommen und beschützt. Im Gegenzug haben die Haschemiten für die Stämme Dienstleistungen erbracht – als Schreiber, Richter, als Mediatoren bei Konflikten. Auch die Imame des Jemen kamen vor 1962 ausschließlich aus den Reihen der Haschemiten. Die Familie al-Huthi war sehr angesehen, setzte sich für die Wiedergeburt des jemenitischen Schiismus ein und fand viele Unterstützer. Und das hat sich verselbstständigt. Der Gründer der Al Huthi, Hussein Badr al-Din al-Huthi, wurde vom Präsidenten als Rivale erkannt. Er starb 2004, heute ist sein Halbbruder Abdulmalik Anführer der Bewegung.

Wie bekommt man als europäische Frau Kontakte dorthin?

Ich hatte nie Probleme – ich bin auch als der Krieg bereits begonnen hat, viel herumgereist und wurde auf das Freundlichste empfangen. Das ist der große Unterschied zwischen den beiden radikalen islamistischen Gruppen – Al Kaida und Huthis.

Wie ist das Verhältnis von El Kaida und Huthi?

Sie sind sich spinnefeind. Die Huthis haben sich als die Einzigen positioniert, die El Kaida in Schach halten können. Da ist es besonders tragisch, dass jetzt die Huthis bombardiert werden und El Kaida sich ungehindert im Jemen ausbreiten kann.

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