Die Regierung "funktioniert einfach nicht", weil Johnson sie nicht mehr im Griff habe, wurde der BBC aus der Downing Street eingeflüstert. Und eine BBC-Expertin konstatierte, die Frage sei nun, ob dies bloß "Katerstimmung" gegen Mitte der Amtsperiode oder Start eines breiteren Sympathie-Verlusts sei.
Fehlstart
Nach drei Wochen negativer Schlagzeilen sollte Johnson am Montag mit einer Rede vor seiner Partei meist wohlgesinnten Wirtschaftsbossen endlich wieder punkten. Stattdessen verglich er sich mit Moses, zitierte Lenin und imitierte Auto-Geräusche. "Es war nicht seine beste Stunde", sagte ein Regierungsmitglied dem Independent. "Aber wir hatten in letzter Zeit nicht viele gute Stunden". Sogar die konservative Presse war kritisch; die Times verglich Johnsons "trostlosen" Auftritt mit Labour-Chef Keir Starmers "beeindruckender" Rede.
Dass am Montagabend bei einer Abstimmung über die Pflegereform, die laut Kritikern Ärmere dazu zwingen könnte, ihr Haus zu verkaufen, 19 Tory-Rebellen gegen die Regierung votierten und sich Dutzende enthielten, schrumpfte ihre sonst klare Unterhaus-Mehrheit und unterstrich das Bild eines Premiers in Bedrängnis. Laut Nachrichtenportal Politico reichen desillusionierte Parteikollegen von Ex-Ministern und Kritikern von Johnsons Ausgabenpolitik über Brexit-Gegner bis hin zu enttäuschten Mandataren in Ex-Labour-Sitzen.
Stehaufmännchen
Fans von Johnson, 57, betonen, dass er sich bisher als Stehaufmännchen bewiesen habe. So sprach der Berater eines Kabinettsmitglieds in den Medien von einer "schwierigen Phase", die es zu überwinden gelte.
Ein Independent-Kolumnist sagte hingegen vorher, dass Johnson bis Weihnachten aus dem Amt scheiden würde. "Es sieht so aus, als ob Johnsons eigene Party langsam seiner überdrüssig wird", schrieb er, musste aber zugeben, dass er Bojos Widerstandsfähigkeit bisher unterschätzt und seinen Rückzug fälschlicherweise auch schon früher angekündigt hatte.
Pete Dorey, Professor für britische Politik an der Universität Cardiff, sagt dem KURIER aber, Montag könnte sich als "Wendepunkt" für Johnson erweisen, "wenn zu viele Wähler und konservative Abgeordnete erkennen, dass er kein ernsthafter politischer Führer ist und der immense Druck der letzten zwei Jahre sein politisches Urteilsvermögen beeinflusst".
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