CDU-Parteitag: Eine schrecklich nette Familie

Der große Krach blieb aus, Kramp-Karrenbauer stellte die Machtfrage - und entschied sie vorerst für sich.

Die Kampfansage kommt von unerwarteter Seite und nach mehr als einer Stunde Redezeit. Annegret Kramp-Karrenbauer setzt an diesem Freitag alles auf eine Karte: Wenn die Partei nicht bereit sei, ihren Kurs mitzugehen, solle sie dies beim Parteitag entscheiden. „Dann lasst es uns heute aussprechen. Dann lasst es uns heute auch beenden. Hier und jetzt und heute.“

Rums? Nein, Applaus. Sieben Minuten lang. Fast alle der 1000 Delegierten in der Leipziger Messehalle stehen nun auf. Die CDU-Chefin greift sich ans Herz, presst die Hände vor dem  Mund zusammen. Sie hat Tränen in den Augen. Damit hat niemand gerechnet, galt die Aufmerksamkeit seit Wochen doch ihrem Kontrahenten Friedrich Merz, der nach der Thüringen-Wahl öffentlich das Bild der Bundesregierung und Kanzlerin als "grottenschlecht" kritisiert und für den Parteitag eine Rede angekündigt hatte. Dementsprechend fielen die Mutmaßungen aus, doch die vielleicht von seinen Anhängern ersehnte Revolution blieb aus. Aber alles der Reihe nach.

Einen arbeitsreichen Tag kündigt die Vorsitzende noch am Vormittag an. Ein "Familientreffen" nennt es ihr Generalsekretär Paul Ziemiak. Und wie das bei so einer Familienzusammenkunft ist, gibt’s Verwandte, die man sich nicht aussuchen kann: Die Großmutter, die eigentlich das Sagen hat, die überforderte Mutter, die darunter leidet oder der Onkel, der immer alles besser weiß. Ja, die CDU ist auch eine Familie, die es sich oft schwer macht. Vor allem, wenn es nicht gut läuft.

 

Annegret Kramp-Karrenbauer – auch AKK genannt –, die seit einem Jahr die CDU anführt, steht massiv unter Druck: Sie hat viele Fehler gemacht, ihre Partei hat Wahlen verloren. An der Basis rumort es: Während die einen der alten Chefin nachtrauern, die ja noch eine ist, aber im Kanzleramt sitzt, fordern die anderen politischen Aufbruch. Sie glauben, dass dieser von einem anderen ausgehen kann: Friedrich Merz. Der frühere Fraktionschef der Union wurde zur Projektionsfläche für Unzufriedene in der CDU. Dass er mit seinem jüngsten Sager gegen die Kanzlerin und ihr Kabinett übers Ziel hinausgeschossen hat, soll er angeblich eingesehen haben. Doch da war die Debatte um die Führung in der CDU und die nächste Kanzlerkandidatur schon im Gang.

Große Erwartungen

Die Erwartungen an die Parteichefin sind also groß, noch am Vorabend scharten sich Journalisten um sie, hofften, Einblick in die CDU-Beziehungskiste zu bekommen. Denn die ist neben einer Kanzlerin, die nicht den Anschein erweckt, abzudanken, und einem immer wiederkehrenden Kritikers durchaus kompliziert.

Offensiv stellt sie sich am Freitag auf die Bühne – und an die Seite ihrer Vorgängerin, die auf den Tag genau vor 14 Jahren erstmals zur Kanzlerin gewählt worden ist. Nicht alles sei in den letzten Jahren schlecht gewesen, ruft AKK den Delegierten zu. Man könne sich nicht hinstellen und die Arbeit der CDU und der von ihr geführten Bundesregierung schlechtreden, "das ist keine gute Wahlkampfstrategie", richtet sie Merz aus.

Gleichzeitig schickt sie eine ihm eine Art Einladung, sich einzubringen. Als sie schon fast 84 Minuten redet, Ziele skizziert, die sich wie eine Wunschliste lesen (Weniger Bürokratie, Vorreiter bei Künstlicher Intelligenz, Steuern senken, Digitalisierungsministerium), wird sie noch persönlich: Es sei im letzten Jahr nicht so gelaufen, wie sie sich das vorgestellt habe, sagt sie ans Publikum gerichtet, um schließlich die Vertrauensfrage zu stellen. Ob der feierenden Reaktionen war klar, den Parteitag hat sie auf ihrer Seite und sich selbst vorerst gerettet.

AKK-Strategie: Alles auf eine Karte

Dass die 57-Jährige alles auf eine Karte setzt, ist nicht neu. Diese Strategie zieht sich durch ihre Karriere: Als sie 2017 ihren Ministerpräsidentinnenposten aufgab, um Parteidienerin in Berlin zu werden; dann nach dem CDU-Vorsitz griff. Nicht weniger riskant war ihr Wechsel ins Verteidigungsministerium, bekannt als Schleudersitz, das gleichzeitig Sprungbrett fürs Kanzleramt sein könnte. Und da wäre nun ihr Vorpreschen am Parteitag - hätte auch schief gehen können.

Ihre "mutige, kämpferische Rede" musste dann sogar Kontrahent Friedrich Merz loben. Er meldet sich in der Aussprache als einfacher Delegierter aus dem Hochsauerlandkreis zu Wort. Anders als im Vorfeld spekuliert, bläst er nicht zur Attacke, gibt sich zahm. "Wir sind loyal zu unserer Vorsitzenden, zu unserer Parteiführung und zur Bundesregierung." Klingt nach einem Versprechen, ob er es hält, wird sich zeigen. Denn trotz Mäßigung gibt er zu verstehen, dass mit ihm noch zu rechnen ist.

Welche Rolle er einnehmen will, lässt er offen. Es ist bekannt, dass er vor einem Jahr die Chance hatte, sich ins Parteipräsidium wählen zu lassen. Derzeit ist der Anwalt und Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrates, dürfte aber die Kanzlerkandiatur im Auge haben. So erklärt er zweideutig und ohne das K-Wort zu erwähnen, dass "nicht dieser Parteitag die Entscheidung treffen werde". Man sei erst am Anfang des Prozesses und nicht am Ende.

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