Besonnen bis zum Schluss
Was Scholz am Sonntag erwartet, die traurigen 15 Prozent, über die redet heute keiner. Das Publikum ist gnädig, fragt nach Renten, der AfD, nach den hohen Mieten. Manche Fragen wirken ob der miesen Aussichten ein wenig realitätsfremd, und so kann Scholz das tun, was er am besten kann: Besonnen sein, so sah er sich selbst am liebsten.
Scholz war der unbeliebteste Kanzler, den die Republik je hatte. Er wird, glaubt man Umfragen, der Partei das schlechteste Ergebnis der Geschichte bescheren. Er wird die Partei wieder in einen Prozess der Selbstzerfleischung stoßen, der schon mit dem Ampel-Aus im Herbst begonnen hat. Doch das Problem, das er Deutschland hinterlässt, ist größer. Scholz war ein Leichtgewicht auf der globalen Bühne, er war den Trumps, Putins, Xis dieser Welt nicht gewachsen.
Ob Friedrich Merz das ist?
Den CDU-Chef, ab Montag wohl Scholz’ gesetzter Nachfolger, plagen ähnliche Macken wie Scholz, er sieht sich selbst als den Besten der Besten an, als die einzig fähige Person, sagen Beobachter. Zu viel Selbstüberschätzung ist manchmal, aber nicht immer gut in der Spitzenpolitik. Scholz wird nachgesagt, in kleinen Runden auch mal deutlich zu aufbrausend geworden zu sein, die Geschichten machten in den Medien die Runde. Nach außen hin gab er aber immer die männliche Merkel.
Merz kehrt sein Temperament gern nach außen, so sehr, dass seine Berater ihn oft einhegen wollen. Doch in der machohaften Weltpolitik könnte das vielleicht sogar hilfreich sein. Scholz wirkte mit seiner Dauerbesonnenheit oft eher einschläfernd als tröstlich, und weltpolitisch nahm ihn so auch kaum einer wahr.
Merz muss diese Lücke füllen, das weiß er. Als er kurz vor der Wahl in Berlin auftritt, vor Lokalpolitikern und Bezirksverordneten, die gern über nervige Linken-Demos und Verkehrsprobleme reden würden, beginnt er seine Rede darum auch mit Donald Trump und der Frage, was Deutschland eigentlich will in dieser Welt. „Da verändert sich was, was wir erst in einigen Jahren verstehen werden“, sagt er mehrfach, er spricht von einer „tektonischen Machtverschiebung“, die sich mit dem Schulterschluss zwischen Trump und Putin gerade vollziehe.
Epochenbruch
Zeitgleich, es könnte symbolischer nicht sein, versammeln sich nahe Washington die rechten Eliten dieser Welt. Italiens Premierministerin Giorgia Meloni, Rassemblement-National-Star Jordan Bardella, Argentiniens Kettensägenmann Javier Milei sitzen dort, als Trumps Ex-Chefideologe Steve Bannon den rechten Arm vor Publikum nach oben streckt, Elon Musk lässt grüßen. Das ist wohl Teil des Epochenbruchs, von dem Merz zeitgleich auf der anderen Seite des Atlantiks spricht.
Scholz war derjenige, der die Zeitenwende zuerst in den Mund nahm, damals nur wegen Putin, vor Trump. Mit Leben erfüllt hat er seine Versprechungen nie, die Bundeswehr gilt heute wie damals nicht als fähig, einen Angriff abzuwehren, und eine gemeinsame europäische Verteidigungslinie hat Scholz nie sonderlich interessiert. Diesen Job übernahmen jetzt Emmanuel Macron und der britische Premier Keir Starmer, die – auch hier sind wir wieder bei Symbolen – ausgerechnet am deutschen Wahlabend in die USA zu Donald Trump fliegen. In normalen Zeiten wäre ein deutscher Kanzler hier dabei; ob Scholz es gewesen wäre, ist schwer zu sagen.
Merz, so viel ist klar, muss das anders machen, das ist sein Wahlversprechen. Er sagt mehrfach, dass „wir die Sicherheit unseres Kontinents nun selbst in die Hand nehmen müssen“, dass dafür Geld fließen müsse. Woher das kommen soll, wie er das machen will, weiß er offenbar selbst nicht so recht. Aber dass die Wirtschaft dafür endlich wieder anziehen muss, das Land ist mittlerweile im dritten Jahr der Rezession, ist der wichtigste Part. Schwächelt Deutschland, zieht das den ganzen Kontinent runter, und ein deutscher Kanzler hat dann in Brüssel auch nicht viel zu reden.
Im Scholz-Modus
Merz muss ab Montag zeigen, wie er das anstellen will. Scholz tut am Samstag eine gute Stunde lang so, als könnte er das auch noch mitentscheiden. Er ist im Scholz-Modus, man kennt die Phrasen, man kennt die Geschichten.
Bis das Licht ausgeht.
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